EU-Gericht erklärt Sanktionen gegen Mutter von Wagner-Chef für nichtig
Das von der Wagner-Gruppe auf Telegram veröffentlichte Foto zeigt Jewgeni Prigoschin.
© Quelle: Telegram
Brüssel. Das Gericht der Europäischen Union hat am Mittwoch über die erste Klage einer Einzelperson gegen Sanktionen entschieden, die von der EU wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verhängt wurden. Das Gericht hat darin die Sanktionen gegen Violetta Prigoschina, Mutter des russischen Oligarchen und Chefs der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, für nichtig erklärt. Von dem Urteil der Luxemburger Richter wurde Aufschluss darüber erwartet, wie juristisch solide die Russland-Sanktionen der EU sind. Die Entscheidung der Luxemburger Richter kann noch vom Rat der Mitgliedsstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten werden.
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Die 83 Jahre alte Violetta Prigoschina wurde am 23. Februar 2022, einen Tag vor dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine, auf die schwarze Liste der EU gesetzt. Ihr Vermögen in der EU wurde eingefroren. Die Listung war Teil des ersten Sanktionspakets gegen Russland, das die EU‑Außenminister beschlossen hatten, nachdem Präsident Wladimir Putin die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk am 21. Februar als unabhängige Staaten anerkannt hatte. Im September 2022 annektierte Russland die zwei Regionen im Osten der Ukraine. Inzwischen hat die EU zehn Sanktionspakete geschnürt.
Obwohl der Söldnerchef „für Handlungen verantwortlich ist, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben“, beruhten die Sanktionen gegen Prigoschins Mutter lediglich auf ihrer familiären Beziehung, heißt es in dem Urteil. Dies allein rechtfertige ihre Aufnahme auf die Sanktionsliste der EU jedoch nicht, so das Gericht, das dem Europäischen Gerichtshof untergeordnet ist.
Prigoschin hatte bestritten, die Wagner-Gruppe zu kennen
Die EU warf Prigoschina vor, als Eigentümerin von Firmen aus dem Geschäftsimperium ihres Sohnes die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine zu untergraben. Ihr Sohn Jewgeni Prigoschin habe seit der rechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 und der Besetzung der Ostukraine „von umfangreichen öffentlichen Aufträgen des russischen Verteidigungsministeriums“ profitiert, hieß es zur Begründung.
Das wies das Gericht jedoch zurück: Es sei erwiesen, dass Prigoschina bereits seit 2017 nicht mehr Eigentümerin der Firma Concord Management and Consulting LLC sei. Zudem habe die EU-Kommission nicht ausreichend bewiesen, dass die Mutter des Söldnerchefs zum Zeitpunkt der Sanktionierung andere Unternehmen besaß, die mit ihrem Sohn in Verbindung standen.
Zwei Monate nach der Sanktionierung reichte Violetta Prigoschina, die in Sankt Petersburg lebt, Klage beim obersten Gericht der EU ein. Darin bestreitet sie, mit Firmen ihres Sohnes in Verbindung zu stehen. „Sie bestreitet auch, dass ihr Sohn mit der Wagner-Gruppe in Zusammenhang stehen könne“, heißt es in der Klageschrift. Und weiter: „Jedenfalls könne aus den Verbindungen zu ihrem Sohn nicht geschlossen werden, dass sie die territoriale Unversehrtheit der Ukraine in irgendeiner Form beeinträchtigt habe.“
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Auch ihr Sohn Jewgeni Prigoschin hatte zunächst bestritten, mit der Wagner-Gruppe in Verbindung zu stehen. In einer Klage gegen EU‑Sanktionen aus dem Jahr 2020 wegen Verstoßes gegen das Waffenembargo in Libyen erklärte er, eine Wagner-Gruppe weder zu kennen noch zu unterstützen. Der EuGH folgte dieser Argumentation allerdings nicht und wies die Klage Prigoschins gegen die Sanktionen im Juni 2022 in allen Punkten ab.
Nach Schwerverbrechern rekrutiert Prigoschin nun auch psychisch Erkrankte
Auch Violetta Prigoschina ist es jedoch nicht gelingen, ihren Sohn von der Wagner-Gruppe zu trennen. Inzwischen ist vielfältig dokumentiert, dass Prigoschins Privatarmee mit dem Namen Wagner-Gruppe an der Invasion der Ukraine beteiligt ist. Die Wagner-Kämpfer sind für ihr brutales Vorgehen berüchtigt. Derzeit ist die Söldnertruppe des Oligarchen, der auch „Putins Koch“ genannt wird, an den Gefechten um die ukrainische Stadt Bachmut beteiligt. Prigoschin warf Moskau zuletzt vor, zu wenig Munition bereitzustellen.
Monatelang ließ der Oligarch in russischen Gefängnissen vor allem Schwerverbrecher für seine Armee rekrutieren. Wer ein halbes Jahr an der Front diene, werde begnadigt, so das Versprechen. Bis zu 50.000 Strafgefangene soll Wagner an die Front geschickt haben. Inzwischen gibt es Medienberichte in Russland, wonach die Wagner-Gruppe auch Männer mit psychischen Erkrankungen rekrutieren will.
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Informationen über zu sanktionierende Personen oft lückenhaft
Sanktionen gegen Profiteure des Angriffskriegs seien „ein wichtiges Mittel, um Druck auf die korrupte russische Elite auszuüben“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Leider sind die Informationen über zu sanktionierende Personen, die den EU‑Behörden vorliegen, oft lückenhaft. Geheimdienstliche Erkenntnisse können nicht immer berücksichtigt werden.“
Im Fall von Violetta Prigoschina liege „eine Verbindung mit den Propagandafirmen ihres Sohns nahe“, so der in der Sowjetunion geborene Politiker. Es gehöre aber auch zu einem funktionierenden Rechtsstaat, dass sanktionierte Personen gegen die Nennung ihrer Namen in den Sanktionslisten der EU vorgehen könnten. „Ob genügend Beweise vorhanden sind, entscheidet am Ende das Gericht, und das ist auch gut so“, sagte Ladodinsky.
Die Mutter des Oligarchen steht nicht nur auf der Sanktionsliste der EU. Auch Frankreich, Belgien, die Schweiz, Großbritannien, Kanada, Japan und Neuseeland haben Violetta Prigoschina nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine auf schwarze Listen gesetzt.