Mit KI gegen unliebsame Beiträge: der lange Arm der russischen Zensurbehörde
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Tasten einer beleuchteten Tastatur (Symbolbild).
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Ob Informationen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, LGBTQ-Themen oder Kritik an der Regierung: Die Zensurbehörde Roskomnadsor (RKN) des Kreml kontrolliert und zensiert, was in Russland auf verschiedensten Informationskanälen verbreitet wird. Die „Süddeutsche Zeitung“ und das russische Onlinemedium „iStories“ haben jetzt eigenen Angaben zufolge interne Dokumente der Zensurbehörde einsehen können, die zeigen, wie Putins Überwachungsapparat arbeitet, welche Technologien er einsetzt und nach welchen Inhalten er dabei gezielt sucht. Davon seien auch Internetnutzer aus Deutschland betroffen.
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Die Daten wurden der „Süddeutschen Zeitung“ demnach von der Hackergruppe Belarusian Cyber Partisans zur Verfügung gestellt – es handele sich um mehr als 1,5 Terabyte an Mails und Protokollen. Roskomnadsor habe demnach in den vergangenen Jahren massiv in die Entwicklung neuer KI-Systeme investiert: Ein Programm des Unternehmens Brand Analytics aus Sankt Petersburg durchsucht Youtube, Facebook und weitere Plattformen gezielt nach Wörtern von einer Liste, die RKN-Mitarbeitende vorgeben. So versuche die Behörde, verbotene Inhalte noch schneller zu identifizieren und bei Bedarf zu sperren.
Ein Fokus liegt demnach wenig überraschend auf der Berichterstattung über Russlands Angriffskrieg in der Ukraine: Alles, was online über die Zerstörung der Infrastruktur geschrieben wird, lande auf den Schreibtischen der Zensurbehörde. Widerspricht ein Medium, ein Youtuber oder eine Telegram-Nutzerin dem offiziellen Narrativ des Kremls, fordere RKN die Löschung. Weigere sich der jeweilige Dienst, verhänge die Zensurbehörde Geldstrafen, entziehe Lizenzen oder blockiere die Websites. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin und andere hochrangige Regierungsbeamte tilge die Behörde unliebsame Informationen aus dem Internet: E‑Mails aus dem Datenleck zeigen laut „Süddeutscher Zeitung“, wie Verbindungen in die Kriminalität oder Beweise für Korruption von Kremlgetreuen aus Medienberichten verschwinden.
Löschantrag für Kommentar von deutscher Youtuberin
Aus den Daten gehe zudem hervor, dass die russische Behörde nicht nur Beiträge aus Russland zensiert, sondern auch immer wieder versuche, nicht russischsprachige Beiträge aus anderen Ländern zu sperren oder löschen zu lassen – auch in Deutschland. So habe das von der Zensurbehörde eingesetzte Programm auch auf den Kommentar der Youtuberin Tetiana hingewiesen. Die Ukrainerin lebt laut dem Bericht in Rheinland-Pfalz und ist mit einem Deutschen verheiratet.
Die Monitoringsoftware habe ihren Kommentar unter einem Video des russischsprachigen Kanals der Deutschen Welle gefunden, Thema sei die Flucht von Russinnen und Russen in die EU gewesen. Tetiana soll auf Russisch kommentiert haben, Deutschland solle keine Menschen aufnehmen, die schweigend der Ermordung und Vergewaltigung ukrainischer Zivilisten zugeschaut hätten. Im Bericht von Brand Analytics sei Deutschland als Absenderland erkenntlich, der Kommentar sei zudem mit dem Hinweis „enthält Aggression“ versehen. Dem Bericht zufolge kam die Youtube-Mutter Google in dem Fall einer Löschanfrage für den russischen Kanal der Deutschen Welle bisher nicht nach.
In vielen anderen Fällen, insbesondere bei sozialen Medien mit Sitz in Russland, hat die Zensurbehörde dem Bericht zufolge mehr Erfolg: Laut einer internen Präsentation habe Roskomnadsor zwischen dem 24. Februar, dem ersten Kriegstag, und dem 10. November mehr als 200.000 Beiträge über den russischen Angriffskrieg identifiziert, von denen etwa 60 Prozent erfolgreich entfernt worden seien – darunter auch ein Beitrag eines Nutzers aus Augsburg auf der russischen Plattform Odnoklassniki.
RND/seb