Entlastung von Bagatellfällen

So will Lauterbach das Problem der überfüllten Notaufnahmen lösen

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit.

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit.

Berlin. Nach mehreren erfolglosen Anläufen in den vergangenen Jahren will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch in dieser Wahlperiode das Problem der überfüllten Notaufnahmen angehen. Lauterbach sagte am Montag bei der Übergabe eines Reformkonzeptes durch die von ihm eingesetzte Regierungskommission, das bestehende System sei gekennzeichnet durch eine massive Ineffizienz und Fehlsteuerung. Viele Patientinnen und Patienten würden derzeit in den Notaufnahmen der Krankenhäuser versorgt, obwohl sie beim ärztlichen Bereitschaftsdienst besser aufgehoben wären. Nötig sei, die bisherigen Strukturen aufzubrechen und neu zu ordnen. Grundsätzlich müsse es darum gehen, dass die medizinische Versorgung dort stattfinde, wo sie auch sinnvoll sei. Der Minister lobte die Vorschläge der Reformkommission als gute Grundlage und versprach eine Umsetzung noch in der laufenden Legislaturperiode.

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Konkret schlägt die Kommission in Anlehnung an frühere Konzepte ein zweigeteiltes Vorgehen vor: Zum einen soll es künftig bundesweit sogenannte Integrierte Leitstellen (ILS) geben: Wer künftig im Notfall den Rettungsdienst unter der Nummer 112 oder den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116117 anruft, soll in einer gemeinsam betriebenen Leitstelle landen, die eine Ersteinschätzung vornimmt. Je nach Schwere des Falls wird dann der Rettungsdienst aktiviert oder dem Anrufenden eine Behandlung bei niedergelassenen Ärzten vermittelt. Das kann zum Beispiel bei entsprechender Dringlichkeit eine umgehende Videosprechstunde sein. Möglich ist aber auch der Verweis auf den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder die bestehenden Terminservice-Stellen.

Telefonische Leitstelle soll erste Anlaufstelle sein

Zugleich soll nach dem Konzept aber auch die Struktur der Notaufnahmen reformiert werden. Geplant sind bundesweit über 400 Integrierte Notfallzentren (INZ). Das sind Rettungsstellen, die an Klinikstandorten gemeinsam vom Krankenhaus und dem ärztlichen Bereitschaftsdienst betrieben werden. Patientinnen und Patienten kommen an einen Tresen und werden nach einer Ersteinschätzung in die Notaufnahme des Krankenhauses oder zum Bereitschaftsarzt der Kassenärztlichen Vereinigungen geschickt. Für Kinder und Jugendliche soll es eigene Notfallzentren an Kliniken mit einer pädiatrischen Abteilung geben.

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Kommissionschef Tom Bschor sagte, die erste Anlaufstelle für Betroffene solle grundsätzlich die telefonische Leitstelle sein, die deshalb sehr attraktiv ausgestaltet werden müsse, etwa durch extrem geringe Wartezeiten. Die Kommission lehnt es allerdings nach seinen Worten ab, für das persönliche Aufsuchen der neuen Notfallzentren Gebühren zu erheben. Das war vor einigen Jahren diskutiert worden, um die überfüllten Notaufnahmen von Bagatellfällen zu entlasten.

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Eine ähnliche Reform hatte bereits Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) geplant. Sie war wegen der Corona-Pandemie und Kompetenzstreitigkeiten zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken sowie den Bundesländern, die für die Rettungsdienste zuständig sind, jedoch nie zu Ende geführt worden. Das Kompetenzgerangel und ein heftiger Streit über die Finanzierung der gemeinsam von niedergelassenen Ärzten und Kliniken betriebenen Einrichtungen ist auch jetzt wieder zu erwarten.

Lauterbach kündigte an, die Frage der Notaufnahmen zusammen mit der geplanten großen Klinikreform zusammen mit den Bundesländern zu beraten. Für eine Reform der Rettungsdienste ist noch ein eigener Vorschlag der Regierungskommission geplant.

Kritik an Reformplänen

Die Pläne sorgten für ein unterschiedliches Echo. Kassenärzte-Chef Andreas Gassen kritisierte, ein Teil der Vorschläge sei unrealistisch. So sollten die Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen in den Integrierten Notfallzentren werktags von 14 bis 22 Uhr offen sein. „Wann sollen die Kolleginnen und Kollegen dann noch in ihren eigenen Praxen arbeiten?“, fragte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

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Auch die Hausärzte und Hausärztinnen übten Kritik. „Ein sehr großer Teil der Notfallversorgung findet in den Hausarztpraxen statt, gleichzeitig spielen diese in dem Gutachten de facto keine Rolle“, sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes, Markus Beier. Dieser selektive Blick habe auch damit zu tun, dass die Kommission ausschließlich aus Krankenhausvertretern bestehe. „Aus zahlreichen Studien geht hervor, dass eine hochwertige hausärztliche Versorgung der beste Schutz gegen eine kollabierende Notfallversorgung ist“, mahnte Beier.

Weitere Wege für Rettungssanitäter

„Statt nur den Missstand zu verwalten, muss das Problem endlich an der Wurzel gepackt und die hausärztliche Versorgung gestärkt werden“, betonte der Bundesvorsitzende. Es dränge sich jedoch der Eindruck auf, dass das Papier allen voran aus Sicht der Krankenhäuser und nicht aus Sicht der Patientinnen und Patienten geschrieben worden sei. „Wir sehen an vielen Punkten noch großen Diskussionsbedarf, damit die Notfallversorgung nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis gestärkt wird“, so Beier.

Die Johanniter, die deutschlandweit Rettungsdienste betreiben, äußerten sich ebenfalls kritisch. Die in der großen Klinikreform geplante Spezialisierung der Krankenhäuser werde dazu führen, dass „weniger Notaufnahmen existieren werden und wir mit den Rettungswagen weitere Fahrstrecken und damit längere Fahrzeiten haben werden“, beklagte der Leiter des Geschäftsbereichs Rettung und Medizinische Dienste, Kevin Grigorian. „Da hilft auch die Errichtung von Integrierten Notfallzentren an den Notaufnahmen wenig, denn diese entlasten zwar die klinischen Notaufnahmen, eröffnen aber keine weiteren Anfahrtsmöglichkeiten“, erklärte der Vertreter der Johanniter.

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