Vorwurf: Verbindungen zur PKK

Türkischer Kurdenpartei HDP droht Verbot

Anhänger der HDP bei einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2020.

Anhänger der HDP bei einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2020.

Das vor fast drei Jahren eingeleitete Verbotsverfahren gegen die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) geht jetzt einer Entscheidung entgegen. In wenigen Wochen könnte das türkische Verfassungsgericht die Partei verbieten. Damit wäre Staatschef Recep Tayyip Erdogan rechtzeitig vor den Wahlen im Frühjahr einen lästigen Konkurrenten los.

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Es ist ein langwieriges Verfahren, mit dem sich die 15 Richter des türkischen Verfassungsgerichts befassen. Seit dem 17. März 2021 brüten sie über einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft. Sie will ein Verbot der Kurdenpartei HDP erwirken, der drittgrößten Parlamentspartei. Die Ankläger werfen ihr „terroristische Aktivitäten“ vor. Nachdem das Verfahren lange auf der Stelle trat, soll es nun offenbar ganz schnell gehen. Am Dienstag begründete Generalstaatsanwalt Bekir Sahin in seinem Schlussplädoyer den Verbotsantrag. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass die HDP die „unteilbare Integrität des Staates untergräbt“. Die Partei sei so etwas wie ein „Rekrutierungsbüro“ für die als Terrororganisation verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Über die „organischen Verbindungen“ der HDP zur PKK wisse „unsere ganze Gesellschaft Bescheid“.

Die Anwälte der HDP haben nur vier Wochen Zeit, ihr Plädoyer vorzubereiten. Danach dürfte schnell die Entscheidung fallen. Das Verfassungsgericht kann mit einer Zweidrittelmehrheit seiner 15 Mitglieder ein Verbot aussprechen. Die Anklage fordert auch ein Politikverbot für 451 führende Funktionäre der HDP. Bereits vergangene Woche hatte das Verfassungsgericht in einem Vorgriff auf ein Verbot die Bankkonten der Partei blockiert. Damit ist die HDP von der Parteienfinanzierung abgeschnitten. Vor den Wahlen, die spätestens im Juni stattfinden müssen, war das ein schwerer Rückschlag.

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Türkischer Präsident Erdogan kündigt für 2023 letzte Kandidatur an
News Themen der Woche KW48 News Bilder des Tages Turkish President Recep Tayyip Erdogan attends the opening ceremony of the 38th meeting of Organization of Islamic Cooperations Committee for Economic and Commercial Cooperation Turkish President Recep Tayyip Erdogan attends the opening ceremony of the 38th meeting of Organization of Islamic Cooperations Committee for Economic and Commercial Cooperation in Istanbul, Turkiye on November 28, 2022. Photo by Turkish presidency  apaimages Istanbul Istanbul Turkey 281122_Istanbul_TPO_00 2 Copyright: xapaimagesxTurkishxpresidencyxxapaimagesx

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will nach eigenen Worten bei einem Wahlsieg nächstes Jahr nicht noch einmal kandidieren.

HDP wäre Herausforderer für Erdogans Partei

Ein Verbot der Partei würde Staatschef Erdogan in die Hände spielen, vor allem so kurz vor der Wahl. Die kurdischen Politiker hätten damit keine Chance, noch rechtzeitig vor dem Urnengang eine Nachfolgepartei aufzumachen. Die HDP kam bei der Wahl von 2018 auf knapp 12 Prozent der Stimmen und stellt mit 56 Abgeordneten die zweitgrößte Oppositionsfraktion im Parlament. Die kurdischen Wähler gelten bei den bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen als „Zünglein an der Waage“: Ihre Stimmen könnten für Erdogan und seine islamisch-konservative AKP über Sieg oder Niederlage entscheiden. Der Staatschef und seine Partei stehen wegen der hohen Inflation, die immer mehr Familien in die Armut treibt, unter wachsendem Druck. Der HDP war es in den vergangenen Jahren gelungen, nicht nur kurdische Wähler zu mobilisieren, sondern auch die Stimmen linksliberaler Türkinnen und Türken zu gewinnen. Das macht die Partei für Erdogan besonders gefährlich.

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Die Repressionen gegen die HDP hatten schon lange vor dem Verbotsantrag begonnen. Nachdem bei den Kommunalwahlen 2019 in der Ost- und Südosttürkei 65 HDP-Politiker zu Bürgermeistern gewählt wurden, setzte das türkische Innenministerium 47 von ihnen wegen angeblicher Terrorvorwürfe ab und ernannte staatliche Zwangsverwalter. Im September 2020 begann eine landesweite Verhaftungswelle gegen HDP-Politiker. Heute sitzen Tausende HDP-Funktionäre und Parteimitglieder in Haft, unter ihnen der frühere Vorsitzende Selahattin Demirtas. 2016 wurde Demirtas wegen des Vorwurfs der „Terrorpropaganda“ und „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ festgenommen. 2018 verurteilte ihn ein Gericht wegen einer Rede, die er fünf Jahre zuvor beim kurdischen Neujahrsfest Newroz gehalten hatte, zu vier Jahren und acht Monaten Haft. Inzwischen kamen weitere dreieinhalb Jahre Haft wegen „Präsidentenbeleidigung“ hinzu.

Tausende Menschen protestieren gegen Haftstrafe für Erdogan-Rivalen Imamoglu
 December 15, 2022, Istanbul, Turkey: Supporters of Istanbul Metropolitan Mayor Ekrem Imamoglu with Turkish Flags attend the rally. Supporters of Istanbul Metropolitan Mayor Ekrem Imamoglu gathered for a rally in front of the Istanbul Metropolitan Municipality building after the Turkish court sentenced Imamoglu to 2 years and 7 months in prison for insulting election officials. Istanbul Turkey - ZUMAs197 20221215_zaa_s197_182 Copyright: xOnurxDogmanx

Der Istanbuler Bürgermeister gilt als wichtigster Bewerber der Opposition bei der kommenden Präsidentenwahl.

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Bei Erdogans Kampf um den Machterhalt spielt die türkische Justiz eine große Rolle. Am Mittwoch verurteilte ein Gericht die Präsidentin der türkischen Ärztekammer, Sebnem Korur Fincanci, wegen „Terrorpropaganda“ zu zwei Jahren und acht Monaten Haft. Fincanci ist eine Kritikerin Erdogans. Sie hatte sich dafür ausgesprochen, Vorwürfen nachzugehen, wonach die Armee Chemiewaffen gegen PKK-Rebellen eingesetzt haben soll. Im Dezember verurteilte ein Gericht den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu, der als ein aussichtsreicher Herausforderer Erdogans bei der Präsidentenwahl gehandelt wurde, wegen „Beamtenbeleidigung“ zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft. Wird das Urteil rechtskräftig, erhält Imamoglu ein Politikverbot und kann nicht gegen Erdogan antreten.

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