Türkei setzt Kopfgeld auf Erdogan-Kritiker aus – darunter ist ein NBA-Star
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Enes Kanter (links), hier im Trikot der Boston Celtics.
© Quelle: Michael Dwyer/AP/dpa
In mehr als 800 Partien stand Enes Kanter in den vergangenen zwölf Jahren in der US-Basketball-Profiliga NBA auf dem Parkett. Aber jetzt kämpft der 30-Jährige den Kampf seines Lebens. Die Türkei hat ihn auf die „Graue Liste“ steckbrieflich gesuchter Terroristinnen und Terroristen gesetzt und ein Kopfgeld für seine Ergreifung ausgelobt. Wer zu Kanters Ergreifung beiträgt, bekommt eine Belohnung von 500.000 Lira, umgerechnet 24.400 Euro. „Ich bin entsetzt“, schrieb Kanter auf Instagram. Bisher sei vor allem der türkische Geheimdienst hinter ihm her gewesen, sagte er der „New York Post“. Aber jetzt „wollen alle das Geld“, fürchtet der Sportstar und warnt: „Wenn mir jetzt etwas zustößt, trägt das Erdogan-Regime die Verantwortung.“
Kanter wurde in Zürich als Sohn türkischer Eltern geboren und wuchs im osttürkischen Van auf. 2011 ging der 2,11 Meter große Mann in die USA und begann bei den Utah Jazz seine Basketballkarriere. Kanter ist einer der schärfsten Kritiker des türkischen Staatschefs. Er bezeichnete ihn öffentlich als „Diktator“ und „Hitler unseres Jahrhunderts“. 2017 entzog ihm die Türkei die Staatsangehörigkeit, seit 2022 hat er einen US-amerikanischen Pass. Der Sportler ist ein bekennender Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der seit 1999 im Exil in den USA lebt. Die türkische Regierung sieht in Gülen den Drahtzieher des Putschversuchs vom Juli 2016 und hat seine Bewegung zur „Terrororganisation“ erklärt. Gülen selbst steht auf der „Roten Liste“ der meistgesuchten Terroristinnen und Terroristen. Auf ihn hat das Innenministerium sogar ein Kopfgeld von umgerechnet 492.000 Euro ausgesetzt.
Bülent Kenes’ Auslieferung für Schwedens Nato-Beitritt
Auch der in Schweden lebende Exiljournalist Bülent Kenes wird der Gülen-Bewegung zugerechnet. Erdogan höchstpersönlich verhalf Kenes zu weltweiter Bekanntheit, als er im November vergangenen Jahres in Ankara bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem schwedischen Premier Ulf Kristersson den Namen des Journalisten nannte. Kristersson war in die türkische Hauptstadt gekommen, um für den Nato-Beitritt seines Landes zu werben, holte sich aber bei Erdogan eine Abfuhr: Ohne die „Deportation des Terroristen namens Bülent Kenes“ werde die Türkei der Aufnahme Schwedens in die Allianz nicht zustimmen, sagte Erdogan. Was Kenes für Erdogan zum „Terroristen“ macht: Er war Chefredakteur der inzwischen verbotenen englischsprachigen Zeitung „Today’s Zaman“, die als Gülen-nah galt.
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Bülent Kenes vor seiner Verhaftung im Oktober 2015 in Istanbul.
© Quelle: picture alliance / AP Photo
Auf der „Grauen Liste“ steht auch der prominente Journalist Can Dündar. Der frühere Chefredakteur der Erdogan-kritischen Zeitung „Cumhuriyet“ lebt seit 2016 in Deutschland. In seiner Heimat droht ihm eine langjährige Haftstrafe, weil er 2014 über angebliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Milizen in Syrien berichtete.
Dündar hat nach mehreren Morddrohungen Polizeischutz. In einem Radiointerview sagte er: „Ich glaube, Erdogan versucht, seine Unterstützer damit zu mobilisieren, dass er meinen Namen auf die Liste setzt.“ Für ihn habe sich durch das Kopfgeld nichts geändert, sagt der Journalist: „Wir kämpfen weiter.“ Mit Dündar stehen derzeit 15 weitere Journalisten auf der Terrorfahndungsliste des türkischen Innenministeriums, unter ihnen der ebenfalls in Deutschland lebende Cevheri Güven.
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Can Dündar lebt seit 2016 in Deutschland. In der Türkei warten 27 Jahre Haft auf den Erdogan-Kritiker.
© Quelle: imago images/epd
Rabiate Aufrufe, Menschen „aus ihren Löchern zu ziehen“
„Kopfgeld auf gesuchte Personen auszusetzen ist eine Methode wie aus einem Westernfilm“, sagt Christian Mihr, Deutschland-Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen. „Wir fordern den türkischen Staat auf, die Verfolgung von Dündar und Dutzenden anderen Medienschaffenden endlich einzustellen.“
Die Fahndungsaufrufe fallen offenbar auf fruchtbaren Boden. Das zeigt der Auftritt des türkischen Regierungsabgeordneten Mustafa Acikgöz Mitte Januar in einer Moschee in Neuss. In seiner Rede vor Erdogan-Anhängern rief Acikgöz dazu auf, Gefolgsleute Gülens und der kurdischen PKK in Deutschland „aus ihren Löchern zu ziehen“ und zu „vernichten“.