Brüssel wollte Aus längst beschließen

„Vertrauensbruch“, „bedenklich“, „ungewöhnlich“: Verbrenner­blockade der Ampel frustet die EU

Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos und werden in der kalten Morgenluft sichtbar. (Symbolbild)

Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos und werden in der kalten Morgenluft sichtbar. (Symbolbild)

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Brüssel. Die anhaltende deutsche Blockade des geplanten Aus für neue Verbrenner ab 2035 stößt bei europäischen Partnern auf Unverständnis und Entsetzen. EU-Diplomaten in Brüssel sprechen von einem Vertrauensbruch und kritisieren die Uneinigkeit der Regierung in Berlin. Auch die Führungsstärke von Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird infrage gestellt und Vergleiche mit der ungarischen Regierung von Viktor Orban kommen auf.

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Man würde sich wünschen, dass die koalitionsinternen Streitigkeiten vorher ausgetragen werden.

Eine Europadiplomatin gegenüber der dpa

„Wir finden, es ist ein Vertrauensbruch“, sagt eine Diplomatin der Deutschen Presse-Agentur über das deutsche Vorgehen. Die Verhandlungen hätten in gewohnter Manier stattgefunden, Einwände hätten früher eingebracht werden können – und die deutschen Bedenken seien berücksichtigt worden. „Man würde sich wünschen, dass die koalitionsinternen Streitigkeiten vorher ausgetragen werden.“ In Zukunft werde man sich immer fragen, „was ein Abkommen mit Deutschland überhaupt noch wert ist“. Womöglich würden auch andere Länder auf die Idee kommen, sich ebenso zu verhalten. Ihr Fazit: „Das ist alles höchst bedenklich.“

Von der Leyen dringt auf schnelle Einigung bei Zukunft des Verbrennermotors
Klausurtagung des Bundeskabinetts im Gästehaus Meseberg Klausurtagung des Bundeskabinetts am 05.03.2023 im Gästehaus der Bundesregierung Schloss Meseberg in Brandenburg. Zu Gast ist die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bei den Beratungen am ersten Tag. Im Bild: die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen während der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundeskanzler Meseberg Schloss Meseberg Brandenburg Deutschland *** Retreat of the Federal Cabinet in the Guest House Meseberg Retreat of the Federal Cabinet on 05 03 2023 in the Guest House of the Federal Government Castle Meseberg in Brandenburg Guest is the President of the European Commission Ursula von der Leyen during the deliberations

Hintergrund ist der Widerstand der FDP, einem Verbrenner-Aus ab 2035 auf EU-Ebene zuzustimmen.

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Die „Bedenken“ der FDP gelten in Brüssel als „ziemlich ungewöhnlich“

Denn eigentlich sollte schon seit Dienstag beschlossen sein, wovon Politiker, Autobauer und andere Beobachter ohnehin seit Monaten ausgegangen waren: dass in der EU ab 2035 nur noch Neuwagen verkauft werden dürfen, die im Betrieb keine Treibhausgase ausstoßen. Darauf hatten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten bereits im Oktober geeinigt. Im November bestätigten die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten das Verhandlungsergebnis mit deutscher Zustimmung und das Europaparlament segnete es Mitte Februar ab.

Für den vergangenen Dienstag war nun der allerletzte Schritt in dem langen Gesetzgebungsverfahren geplant: die endgültige Zustimmung der EU-Staaten - eine Formalie, die normalerweise ohne Debatte auskommt.

Denn es gab ja bereits ausreichend Möglichkeiten, eigene Wünsche einzubringen, wie mehrere Diplomaten betonen. Im Sommer etwa, als die EU-Staaten ihre Verhandlungsposition abstimmten. Oder später, als die Gespräche mit dem Parlament liefen. Aber jetzt Bedenken anzumelden - „das ist ziemlich ungewöhnlich“, sagt ein EU-Diplomat. Die anderen Länder seien sehr überrascht gewesen, sagt eine andere Diplomatin. Wieder andere Vertreter von Mitgliedstaaten in Brüssel äußern sich weitaus weniger diplomatisch über das Vorgehen, das vor allem der FDP zur Last gelegt wird.

FDP pocht auf EU-Vorschlag zum Umgang mit E‑Fuels

Denn erst Ende Februar, rund eine Woche vor der geplanten Abstimmung, äußerte FDP-Verkehrsminister Volker Wissing via „Bild“ plötzlich Bedenken – und drohte in der Zeitung damit, dem Ergebnis nach monatelanger Verhandlung nicht zuzustimmen. Seitdem betonen Wissing und FDP-Chef Christian Lindner immer wieder, dass die EU-Kommission einen Vorschlag unterbreiten müsse, wie nach 2035 noch private Neuwagen zugelassen werden können, die klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe, sogenannte E‑Fuels tanken. Die FDP argumentiert vor allem, dass für eine klimaneutrale Mobilität alle technologischen Optionen offengehalten werden müssen. Mit E‑Fuels können Verbrenner theoretisch klimafreundlich betrieben werden, ihre Herstellung ist aber verhältnismäßig energieintensiv.

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Auf Druck der FDP hatte die Bundesregierung bereits im Sommer 2022 einen Zusatz in das geplante Gesetz hineinverhandelt, wonach die EU-Kommission einen Vorschlag zu CO₂-neutralen Kraftstoffen vorlegen soll. In der Brüsseler Behörde ist man allerdings der Ansicht, dass dieser nicht auf Privatwagen, sondern nur auf Sonderfahrzeuge wie Feuerwehrautos abzielen kann. Und so blockiert die Bundesregierung derzeit das fertig verhandelte Gesetz – zusammen mit Polen, Italien und Bulgarien. Die Abstimmung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Deutschland sollte im Kreis der EU-Partner ein verlässlicher Partner bleiben.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne)

Ampelkoalition findet keine gemeinsame Position

Dabei ist sich die Ampelkoalition selbst nicht einig. Die FDP und auch SPD-Kanzler Scholz sehen die Kommission am Zug. Das grün geführte Umweltministerium kritisiert dagegen die Blockade des Verkehrsministeriums. Ministerin Steffi Lemke warnt: „Deutschland sollte im Kreis der EU-Partner ein verlässlicher Partner bleiben.“

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Doch der Schaden ist längst angerichtet. Die Vizeregierungschefin Spaniens, Teresa Ribera, warnte kürzlich vor Szenarien, in denen andere Regierungen bei anderen Themen ähnlich vorgehen könnten. Ein weiterer EU-Diplomat sagt, solch ein Verhalten erwarte man von der ungarischen Regierung unter Viktor Orban, Deutschland habe in der EU jedoch eine besondere Verantwortung.

Die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel habe verstanden, dass eine gut funktionierende EU im besten Interesse Deutschlands als größtem Mitglied und der größten Volkswirtschaft sei. „Scholz hat dies noch nicht verstanden und scheint mehr als nationaler Minister denn als Bundeskanzler zu agieren“, betont der Diplomat. Einen „engstirnigen nationalen Ansatz in der EU zu verfolgen“, könne Deutschland sich angesichts der Weltlage allerdings nicht leisten.

Der Diplomat verweist zudem darauf, dass es nicht das erste Mal sei, dass die Ampel-Regierung in Brüssel als zerstritten wahrgenommen wird. Er nennt etwa die Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen für Plattformarbeiter, bei denen die EU-Staaten zuletzt keine Position festlegen konnten, weil die Ampel keine Linie fand. Ein hochrangiger EU-Diplomat sagte bereits Anfang des Jahres, dass Deutschland das einzige Land sei, das es sich erlauben könne, gleichzeitig drei Positionen zu ein und demselben Thema zu vertreten – je nachdem, mit welcher Partei man spreche.

RND/dpa

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