Wie Sie hören, hören Sie nichts
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/TCAWZPDATVGMHOJXIC65OLOG5U.jpeg)
Eine Sirene im brandenburgischen Petersdorf. Am 8. Dezember wurde auch hier die Infrastruktur zur Warnung der Bevölkerung getestet.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Der Warntag 2022 lief schon mal besser an als vor zwei Jahren. Dennoch vermissten auch dieses Jahr viele Menschen den ohrenbetäubenden Lärm der Sirene – wie kein anderes Warnmittel steht sie für die Alarmierung bei Gefahr. Wenn die Sirenen heulen, wird’s ernst.
Die gute Nachricht: Nach dem Fiasko des Warntags 2020, an dem die meisten Sirenenhörner stumm blieben, bemühten sich viele Städte und Kommunen, neue Anlagen zu beschaffen.
Die schlechte: Es wird vielerorts noch dauern. Und natürlich ist zu wenig Geld da.
Über das Comeback eines eigentlich schon aussortierten Krisenhelfers.
Weckruf Flutkatastrophe
Der so still verlaufene Warntag 2020, der erste nach der Wiedervereinigung, war wie ein Weckruf für die Behörden. Warum waren landauf landab nur so wenige Sirenen zu hören? Der Bund legte im Frühjahr 2021 ein Sirenenförderprogramm von rund 90 Millionen Euro auf, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) sollte die Mittel an die Länder verteilen. Doch erst nach der Jahrhundertflut im Sommer 2021, als an Ahr und Erft mehr als 180 Menschen ihr Leben verloren, gingen viele Katastrophenschützer das Problem ernsthaft an.
Proben für den Ernstfall: Bundesweiter Warntag am 8. Dezember
Beim ersten bundesweiten Warntag gab es 2020 gravierende technische Probleme. Der nächste wurde abgesagt. Nun soll dieses Mal alles besser funktionieren.
© Quelle: RND
Etwa ein Jahr später meldete das BBK, das Förderprogramm sei ein „voller Erfolg“: Das Gesamtvolumen sei fast völlig bewilligt oder ausbezahlt. Spricht man mit Experten aus der recht überschaubaren Sirenenbranche, ist die Meinung differenzierter. „Dass man etwas derart übers Knie bricht, habe ich noch nie erlebt“, sagt Uwe Koperwas von der Firma Helin dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Koperwas, 63, ist seit 30 Jahren im Sirenengeschäft – er berät Kommunen im ganzen Land bei der Planung und Anschaffung der Anlagen.
Es gebe nur vier etablierte Unternehmen auf dem Markt, sagt Koperwas. Und die könnten an den Ausschreibungen der Kommunen mitunter nicht mehr teilnehmen – Kapazitätsgrenze erreicht, oder wie Koperwas es beschreibt: „Wir sind jetzt zu. Die Firmen kommen an ihre Leistungsgrenze.“
Der große Sirenenrückbau
Das Problem: Einerseits ist der Bedarf der Länder immens. Sirenen sind bundesweit vielerorts nach dem Ende des Kalten Krieges abgebaut worden, weil man glaubte, sie nicht mehr zu benötigen. In vielen Fällen wurde der Unterhalt der Systeme zudem als zu teuer empfunden und die Geräte deshalb außer Betrieb genommen. Nach früheren Angaben des BBK gab es bis 1993 in ganz Deutschland rund 80.000 Sirenenstandorte. Davon wurden rund 40.000 abgebaut 2018 teilte das Amt mit, bundesweit seien noch 15.000 Sirenen in der Lage, ein Warnsignal zu senden.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DVXR7OS6XQQORWC6RSZWA6AADY.jpg)
Eine veraltete Sirene wird von einer Elster in Beschlag genommen.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Die anderen analogen Modelle können dagegen meist nur den Feuerwehralarm aussenden und nicht digital vom BBK angesteuert werden. So wie es etwa beim bundesweiten Warntag geplant ist. Teils stammen die vorhandenen Modelle noch aus den 1950er- und 1960er-Jahren. So wie das weit verbreitete Sirenenmodell „E57“ der Firma Helin – sie erinnert von der Form her an einen grün-grauen Soldatenhelm.
Auch in der Hauptstadt blieb es still
Helin hat seinen Sitz in Hagen, nächstes Jahr feiert man Firmenjubiläum: 100 Jahre. Natürlich brummt das Geschäft dank des Förderprogramms. „Aber wir sind an der Grenze – es darf nichts mehr passieren“, sagt Kopwas. Er denkt etwa an die Halbleiterindustrie in Taiwan. „Teils hatten wir schon Materialengpässe.“
Der Sirenenhersteller Hörmann aus Bayern, nach eigenen Angaben Marktführer mit 60.000 installierten elektronischen Sirenen weltweit, teilt dem RND mit, dass sich die Auftragslage im Vergleich zu den Vorjahren verdoppelt habe. Zwar sei es noch möglich, die Nachfrage zu befriedigen, aber auf aufgrund der Materialengpässe komme es zu längeren Lieferzeiten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ZW6OFYYPV5DT3JOWUAPUQUVDRA.jpeg)
Eine neue elektronische Sirene ist im Ahrtal auf dem Dach des Gemeindehauses in Rech montiert worden.
© Quelle: Thomas Frey/dpa
Lokale Berichte aus den Bundesländern zeigen, wie lückenhaft das Sirenensystem in Deutschland deshalb immer noch ist.
So blieb es etwa in Osnabrück am bundesweiten Warntag stumm, berichtet der „NDR“. Es seien noch nicht alle der vorgesehenen 27 Sirenen montiert, teilte die Stadt mit. Die Montagefirma habe den Fertigstellungstermin wegen Lieferengpässen und Personalmangels immer wieder verschoben. Die Sirenen sollten ursprünglich bereits seit März 2021 einsatzbereit sein.
Auch in Schwerin blieb es über den Dächern still. In der knapp 100.000 Einwohner zählenden Stadt gebe es nur an zwei Standorten Sirenen und diese würden nur zur Alarmierung der Freiwilligen Feuerwehr eingesetzt, teilte die Stadtverwaltung mit. Zwar habe die Stadtvertretung beschlossen, wieder Sirenen zu installieren, das sei aber „noch nicht abgeschlossen“.
In Schleswig-Holstein gelten fast alle der rund 2600 installierten Sirenen als veraltet.
Selbst in den Metropolen München und Berlin war nichts zu hören. Von den 400 Sirenen, die in der Hauptstadt aufgebaut werden sollen, stehen erst sehr wenige zur Verfügung, berichtet der „Tagesspiegel“. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) gab deshalb zu: „Das läuft nicht so, wie ich mir das vorstelle, das sage ich hier ganz offen.“ Die beauftragte Firma habe Probleme mit den Standorten und der Statik.
Überhaupt stehen nur noch in wenigen deutschen Großstädte intakte Sirenennetze. Dazu gehören unter anderem Bonn, Düsseldorf, Köln oder Mainz. Hamburg indes verfügt über ein Sirenensystem, das vor Sturmfluten warnt.
Das BBK bemüht sich zwar, ein sogenanntes Warnmittelkataster zu erstellen – also eine Karte, auf der alle Sirenen und in Zukunft auch andere Warnmittel verzeichnet sind. Doch abgeschlossen ist dieser Prozess noch nicht. Bekannt ist aber, dass die Länder dem Bund, der die Installation und Reparatur von Sirenen finanziell fördert, bislang rund 35.000 Sirenen gemeldet haben.
Kommunen unter Zeitdruck
Ein zeitliches Problem kommt für Städte und Gemeinden laut Uwe Koperwas hinzu. Weil das Förderprogramm nur bis 2023 angelegt ist, müssen die Investitionen rasch getätigt werden, damit die Anlagen bis Ende nächsten Jahres stehen. „Sonst gibt es keine Förderung und die Kommunen bleiben auf den Geldern sitzen.“ Doch die Planung sei aufwendig, es müssten geeignete Flächen identifiziert, Anträge gestellt werden. Die Kommunen stehen also unter immensem Druck.
Auf der jüngsten Innenministerkonferenz wurde deshalb gefordert, das Förderprogramm zu verlängern und aufzustocken. Das Bundesinnenministerium bestätigt dem RND, dass auch der Bund einen Ausbau anstrebt – unter Haushaltsvorbehalt. „Für eine weitere Sirenenförderung erwartet der Haushaltsausschuss ein mit den Ländern abgestimmtes Konzept zur Finanzierung eines Folgeprogramms, bei welchem sich die Länder, zusätzlich zum Bund, maßgeblich beteiligen“, teilte ein Sprecher mit.
Noch im Juli 2022 hieß es aus dem Bundesinnenministerium, dass nach bisheriger Planung keine weiteren Mittel vom Bund zum Aufbau von Sirenen vorgesehen seien. Dabei lagen schon damals mehr Förderanträge vor, als mit den zur Verfügung stehenden Mitteln genehmigt werden könnten, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Es wäre daher „fahrlässig, aufgrund kurzfristiger Lieferengpässe darauf zu verzichten, die weitere Finanzierung sicherzustellen“. Schließlich habe Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einen „Neustart“ im Bevölkerungsschutz angekündigt. „Ohne einen zusätzlichen Euro wäre das leeres Gerede“, sagte Herrmann. Allein in Niedersachsen soll es einen Investitionsbedarf von 80 bis 100 Millionen Euro für neue Sirenen geben.
Es wird also noch etwas dauern, bis es in Deutschland zum Aufleben einer alten Tradition kommen kann. Früher heulten die Sirenen in der DDR jeden Mittwoch um 13 Uhr. In der alten Bundesrepublik wurden die Anlagen in den Dörfern meist einmal im Monat getestet, sonnabends. Jüngere Generationen werden sich an dieses Ritual erst wieder gewöhnen müssen.