Essay

Bundeswehr im Jahr 2022: ein Lob den Soldaten

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag zu Besuch bei der Bundeswehr in Lest (Slowakei).

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag zu Besuch bei der Bundeswehr in Lest (Slowakei).

Am Dienstag stand ein junger Feldjäger vor dem Bundeswehrcamp im slowakischen Lest und sagte frohgemut: „Die Hälfte seines Lebens wartet der Soldat vergebens.“ Draußen pfiff bei Temperaturen weit unter null Grad ein eisiger Wind, dem der gut gelaunte Kerl von der Schwäbischen Alb ohne Winterjacke, Schal und Handschuhe trotzte. Der Boden war gefroren, und weit und breit nur leeres, hügeliges Land zu sehen. Keine Aussicht auf Vergnügungen, nirgends. Außer im „Betreuungszelt“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

+++ Alle Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine im Liveblog +++

Wie dem jungen Feldjäger mit der Pistole am Halfter geht es kurz vor Weihnachten allein in Lest, 200 Kilometer östlich der Hauptstadt Bratislava, 250 weiteren Frauen und Männern im Dienst der deutschen Streitkräfte. Sie bilden hier an der Nato-Ostflanke mit Soldaten anderer Nationen eine sogenannte Battlegroup, um, wie der Kommandeur sagt, im Notfall einem „imaginären Feind“ zu trotzen, „der aus Osten angreift“. Und sie haben allesamt Anerkennung verdient.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Dienst in der Bundeswehr zumindest im Westen der Republik nicht gern gesehen war. Beträchtliche Teile eines jeden Jahrgangs verweigerten dort den Dienst an der Waffe. Ja, in akademischen Milieus der Nach-1968er-Ära war es verpönt, es nicht zu tun. Die Verheerungen des Zweiten Weltkrieges trugen zur Ablehnung des Militärischen ebenso bei wie Offiziere, die Bundeswehruniformen trugen, bisweilen aber unverändert an Wehrmachtsoffiziere erinnerten. Noch 1983 wurde ein General namens Günter Kießling in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er fälschlicherweise in den Verdacht geraten war, homosexuell zu sein. Wer wollte in dieser Armee dienen?

Kaum noch Berührungspunkte mit der Bundeswehr

Später nahm die Entfremdung der Gesellschaft von den Streitkräften aus anderen Gründen zu. Einer davon ist mathematisch. Schließlich kommt in einem Land mit mittlerweile 83 Millionen Einwohnern und 183.000 Soldatinnen und Soldaten bloß noch eine Minderheit der Bürgerschaft überhaupt mit der Armee in Berührung. Seit die allgemeine Wehrpflicht vor elf Jahren ausgesetzt wurde, gilt das erst recht. Das hat Folgen: Die Deutschen treten der Bundeswehr heute wie Kunden gegenüber. Man will mit Sicherheit beliefert werden, notfalls auch in Mali oder am Hindukusch – aber bitte ohne Rechnung.

Diese Art der eher gleichgültigen Konsumentenhaltung ist seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine unhaltbar geworden. Der 24. Februar und seine Weiterungen geben vielerlei Anlass, dankbar auf die Bundeswehr zu blicken.

Michael Eichstaedt ist Stabsfeldwebel der Bundeswehr und betreut den „Wald der Erinnerung“ beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow.

Dienst am „emotionalsten Ort der Bundeswehr“: Dieser Soldat trägt die Last des Überlebenden

Michael Eichstaedt war als Soldat in fünf Auslandseinsätzen, mit den Folgen kämpft er bis heute. Im Ehrenhain der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam erinnert er an die Schicksale getöteter Soldaten.

Die Wahrscheinlichkeit, als deutscher Soldat in den Krieg verwickelt zu werden, ist gestiegen

Das hat zunächst mit der objektiven Bedrohung zu tun. Egal nämlich, wie hoch man die Gefahr einer Eskalation des Ukraine-Krieges einschätzt, so ist doch eines gewiss: Die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Soldaten auf europäischem Boden in einen Krieg verwickelt werden, ist durch den Ukraine-Krieg deutlich gestiegen. Das wurde offenkundiger denn je, als am 15. November eine Rakete in Ostpolen einschlug, die – wäre sie nicht irrtümlicherweise aus der Ukraine, sondern aus Russland gekommen – den Nato-Bündnisfall ausgelöst und eine Reaktion des westlichen Verteidigungsbündnisses erzwungen hätte.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Es ist somit auch nicht überraschend, dass Hunderte Bundeswehrsoldaten, vornehmlich Reservisten, den Dienst seit Kriegsbeginn verweigert haben, nicht selten mit der freimütigen Begründung, dass sie mit einer solchen Auseinandersetzung nicht gerechnet hätten. Überraschend ist eher, wie viele es nicht taten. Vom ostsächsischen Görlitz bis ins westukrainische Lwiw sind es ja nur rund 650 Kilometer. Und der in Spanien geborene deutschsprachige Schauspieler Daniel Brühl begründete seinen Umzug in die zweite Heimat am Mittelmeer im Juli unter anderem damit, dass sich der Krieg „in Berlin viel näher anfühlt“. Auch wenn jeder Krieg letztlich sinnlos bleibt: Der teils naive Pazifismus aus Bonner Zeiten wirkt angesichts einer blutigen Schlacht in der unmittelbaren Nachbarschaft deplatziert.

Hauptstadt-Radar

Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Soldat zu sein bedeutet auch, möglicherweise zu sterben

Überdies sind die Umstände, unter denen Rekruten heute etwa an die Nato-Ostflanke in Litauen oder der Slowakei geschickt werden, alles andere als angenehm. Sicher, es gibt etwa in Lest feste Wohncontainer, ein Betreuungszelt, eine Poststelle, Fitnessgeräte sowie einen Zuschlag auf den Sold, der pro Tag 85 Euro beträgt.

Trotzdem bleiben die Camps hochgradig provisorisch. Die Soldaten müssen über Heiligabend und Silvester fern der Liebsten verbringen – was, wie der Kommandeur einräumt, die größte Herausforderung ist. Zum Fest gibt es Ente, Blaukraut und Knödel. Doch Alkohol, nein, den gibt es nicht. Und die Möglichkeit für gelingende Freizeit außerhalb des Camps ist monatelang beschränkt. Das sind Entbehrungen, für die nicht jeder Mann und jede Frau gemacht sind – und die in der deutschen Anspruchsgesellschaft längst nicht jeder zu akzeptieren bereit wäre.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Kommandeur im Slowakischen nannte diese Gesellschaft „friedensverwöhnt“. Soldat zu sein, so fügte er hinzu, „das bedeutet halt, nicht nur zu kämpfen, sondern auch zu sterben“. Nicht allein der junge Feldjäger, der dem Kommandeur untersteht, nimmt es als selbstverständlich hin.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken