„Unsere Industrie ist sehr viel flexibler, als man meint“
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Bundeswehrpanzer Marder auf dem Gelaende der Firma Battle Tank Dismantling GmbH .
© Quelle: imago/Hans Scherhaufer
Hans Christoph Atzpodien, was erwartet die deutsche Rüstungsindustrie vom neuen Verteidigungsminister?
Wir hoffen auf eine möglichst ausgeprägte Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft mit uns als Industrie, denn wir glauben, dass man in dieser angespannten Beschaffungssituation nur gemeinsam gute Ergebnisse erzielen kann. Auch hoffen wir auf den politischen Willen zu einer echten verteidigungsindustriellen Strategie, die festlegt, wie wir mit deutschen Spitzentechnologien in Europa bei Rüstungsprojekten eine Führungsrolle übernehmen können.
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Hans Christoph Atzpodien ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.
© Quelle: BDSV
Was erwarten Sie noch?
Auch wenn Waffen nie in falsche Hände geraten dürfen, sollten wir uns beim Export von Produkten aus europäischer Kooperation auf die Maßstäbe der anderen beteiligten Länder zubewegen und nicht sagen: Wir wollen es noch restriktiver als alle anderen. Dann nämlich will niemand mit uns kooperieren. Allein, weil bei uns eine weitere Verschärfung der Exportrichtlinien in der Diskussion ist, ziehen sich unsere französischen Partner auf den Standpunkt zurück: Rüstungsexportkontrolle nur nach französischen Maßstäben und Deutschland bestenfalls als Juniorpartner. Das wird uns nicht gerecht. Denn wir sind das Land mit der stärksten Rüstungsindustrie und mit den höchsten Verteidigungsausgaben in Europa.
Das heißt, aus Ihrer Sicht geht es nicht nur um Verteidigungs-, sondern auch um Industriepolitik.
Absolut. Außerdem ist es ja so, dass unsere Verteidigungsindustrie in reichem Maße marktverfügbare Produkte hat, die wir heute schon an andere Nato-Länder liefern. Nur muss das Verteidigungsministerium die spezifisch deutschen Goldrandanforderungen abbauen, die die Bundeswehr derzeit daran hindern, diese robusten und attraktiven Produkte zu beschaffen. Wir haben in Deutschland teilweise übersteigerte Ansprüche, die wieder auf Normalmaß gesetzt werden müssen.
+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++
Sie vermitteln den Eindruck: Die Rüstungsindustrie könnte liefern, was gebraucht wird, wenn man sie nur ließe. Der öffentliche Eindruck ist aber, dass Sie das nicht können. So soll etwa der Kampfpanzer Leopard 2 laut Rheinmetall erst 2024 in die Ukraine geschickt werden können.
Wenn man eine Produktserie wie beim Leopard 2 neu anfahren muss, dann gibt es immer bestimmte Anlaufvoraussetzungen. Man muss Stahl bestellen, man muss Elektronik bestellen. Das dauert einfach. Generell ist unsere Industrie sehr viel flexibler, als man meint. Rheinmetall etwa ist bei der Produktion von Munition in Vorleistung gegangen und hat zugleich neue Produktionskapazitäten aufgebaut oder erworben – in Unterlüß, demnächst in Ungarn und Spanien. Generell ist aber der Aufbau neuer Kapazitäten von langfristigen Dispositionen und damit auch von entsprechenden Bestellungen abhängig.
Pistorius will Bundeswehr „stark machen“
Der künftige Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius versicherte, dass er sich vor die Soldatinnen und Soldaten stellen werde.
© Quelle: dpa
Ein Problem ist gerade der Schützenpanzer Puma. Ist er zu komplex?
Das kann man so nicht sagen. Der Puma war von der Bundeswehr so gewollt. Die Bundeswehrbeschaffung behält sich in aller Regel vor, bis ins Detail zu spezifizieren, wie ein Produkt aussehen muss. Ein weiteres Problem früherer Beschaffungen besteht unter anderem darin, dass laufende Verträge auch noch nach der Beauftragung immer wieder geändert wurden. Daraus ergab sich in vielen Fällen eine Überkomplexität, die auch die Kosten erhöht und das Umsetzungstempo verlangsamt hat. Wir plädieren seit Langem dafür, in solchen Prozessen die Lösungsideen der Industrie früher und umfassender einzubeziehen, um so ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen.
Zugleich werden der neue Kampfjet und der neue Transporthubschrauber in den USA bestellt, weil die Bundeswehr sagt: Wir brauchen Systeme, die funktionieren.
In diesen beiden Fällen gab es am Ende Gründe, dies so zu tun. Wichtig ist aber, dass hier die deutsche Industrie angemessene Arbeitsanteile im Bereich der Instandhaltung übertragen bekommt. Außerdem darf die Beschaffung im Ausland nicht die Regel werden. Wie gesagt, die deutsche Verteidigungsindustrie hat in vielen Bereichen marktverfügbare Produkte im Portfolio, die im Export recht erfolgreich sind. Deutsche Standards müssen diese allerdings zum Einsatz in der Bundeswehr zulassen.
Sie haben also drei Botschaften: einfacher bauen, der Industrie mehr Spielraum geben und die Rüstungsexportrichtlinien nicht noch verschärfen.
Ja, so ist es. Ein weiteres deutsches Problem ist die Finanzierung. Nach den Kriterien der Banken darf ein nachhaltiger Fonds keine Assets mit mehr als 10 Prozent Rüstungsumsatz beinhalten – selbst wenn diese 10 Prozent aus der Belieferung der Bundeswehr resultieren. Das ist durch den Ukraine-Krieg keineswegs entschärft. So kommen vor allem Mittelständler schlecht an Kapital. Tatsächlich aber gibt es ohne Frieden und Sicherheit keine Nachhaltigkeit. Das sehen wir in der Ukraine auf bedauernswerte Weise. Die Menschen dort verlieren eine intakte Umwelt und ein unter sozialen Gesichtspunkten menschenwürdiges Leben. Da ist nichts mehr nachhaltig. Nachhaltigkeit setzt also ohne jede Frage eine starke Verteidigungsfähigkeit und gut ausgerüstete Streitkräfte voraus.
Die Ukraine wird vermutlich auf längere Zeit einen großen Bedarf an westlichen Waffen haben. Und so lange von Russland eine solche Bedrohung ausgeht, wird auch die Bundeswehr auf Jahre hinaus mehr Ausrüstung benötigen. Können Sie diesen Bedarf überhaupt decken?
Ja, wenn entsprechend langfristig disponiert werden kann und die Aufträge dazu an die Industrie vergeben werden. Dann können die Kapazitäten entsprechend aufgebaut werden. Das heißt: Ich traue unserer Industrie – sowohl den bekannten Systemhäusern also auch dem sehr leistungsfähigen Mittelstand – unglaublich viel zu, wenn wir als Gesellschaft diese Herausforderung akzeptieren und entsprechende Haushaltsmittel dafür einsetzen.
Sie hätten mit dem Wort „Kriegswirtschaft“ keine Probleme?
Eine echte „Kriegswirtschaft“ würde erst zum Tragen kommen, wenn die Nato-Beistandsverpflichtung nach Artikel fünf greift. Wir wollen nicht hoffen, dass ein solcher Fall eintritt. Aber auch unabhängig davon müssen wir wirklich mehr tun und einen Sinn für die Dringlichkeit der Ausrüstungssituation gewinnen. Eine ganze Reihe von Verteidigungsexperten sagt: Wenn wir nicht schnell das Zweiprozentziel erfüllen, dann verpufft auch das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro.
Ihre Branche war bisher umstritten. Jetzt sagen selbst altgediente Antimilitaristen: Wann liefert Ihr endlich? Nicht wenige sagen sogar: Waffen retten Leben.
Ja, es gibt die sehr richtige Aussage: „Deutsche Waffen retten Leben“. Den Satz empfinde ich als zutreffend, er ist aber in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Ich würde ihn außerdem ergänzen um den Satz „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit“ und mir wünschen, dass mehr Menschen diesen Zusammenhang begreifen.