Sternstunde des Sportjournalismus: Warum Esther Sedlaczek einen guten WM-Job macht
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Kein Schmusetext, kein Schonwaschgang: ARD-Sportmoderatorin Esther Sedlaczek.
© Quelle: SWR / Christian Koch
Nein, Oliver Bierhoff ist es nicht gewohnt, dass man ihn hart angeht. Da steht der DFB-Manager, sichtlich irritiert, nach dem peinlichen WM-Aus der deutschen Nationalmannschaft in der Vorrunde in Katar neben ARD-Moderatorin Esther Sedlaczek und muss sich – Überraschung! – klare Fragen gefallen lassen von einer Sportjournalistin, die an diesem bitteren Abend etwas tut, das in der öffentlich-rechtlichen Live-Sportberichterstattung selten geworden ist: ihren Job.
Kein Schmusetext. Kein Schonwaschgang. Die Nation hat Fragen an diesem Abend, und Esther Sedlaczek nimmt sich die Freiheit, sie zu stellen – stellvertretend für ein Publikum, das nach Jahren der Erfolglosigkeit mehrheitlich die Nase voll hat von wachsweichen DFB-Floskeln, vom ausweichenden Polit-Klimbim der Verantwortlichen und den ewigen Ausflüchten.
„Auf wen empfinden Sie Wut?“
„Wut und Enttäuschung“ verspüre er, sagt Bierhoff, abwägend wie ein Provinzpolitiker, der von Berlin träumt. „Auf wen empfinden Sie denn die Wut?“, hakt die 37-Jährige nüchtern nach. „Auf die Mannschaft?“ Hart in der Sache, verbindlich im Ton – so gelingt Sedlacek der schwierige Spagat zwischen schlecht gelauntem Kreuzverhör und nüchtern-strenger Bilanz. Ihr wichtigstes Stilmittel: kurze, präzise Nachfragen, die ihr Gegenüber in die Defensive drängen, ohne aggressiv zu wirken („Glauben Sie das wirklich?“). Schmallippig ist Bierhoff zunächst auch bei der Frage nach dem PR-Stunt rund um die von der Fifa verbotene „One Love“-Binde. Doch Sedlaczek lässt Halbgares nicht durchgehen. Ob man die Sache nicht besser hätte regeln können? Bis Bierhoff zugibt: „Da kann ich nur zustimmen. Das hätten wir besser machen können – ohne Zweifel.“
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„Basti wollte gar nichts fragen?“: ARD-Sportmoderatorin Esther Sedlaczek mit dem früheren Nationalspieler Bastian Schweinsteiger bei der WM in Katar.
© Quelle: IMAGO/Matthias Koch
Und dann legt sich „Sportschau“-Neuzugang Sedlaczek den Ball zurecht für die entscheidende Frage an Bierhoff – die nämlich nach dem Erfolg seines eigenen Schaffens. „Es ist das dritte enttäuschende Turnier auch unter Ihrer Ägide“, sagt sie ruhig. „Es gibt nicht wenige, die sagen, vielleicht braucht es auch auf dieser Position Veränderung – machen sie sich dahingehende Gedanken?“ Bierhoff stutzt kurz. Die Jobfrage? Echt jetzt? „Ich bin jetzt seit 18 Jahren da“, sagt er dann. „Vielleicht schaut man sich die ganze Bilanz an und bewertet sachlich. Da habe ich ein ganz gutes Gefühl für mich.“ Da blitzt der alte Trotz durch: Wir beim DFB machen keine Fehler, ich schon gar nicht. Doch er sagt auch: „Leider habe ich nach drei schlechten Turnieren wenig, was ich dagegen halten kann.“
Spagat zwischen mieser Laune und Wischiwaschi
Sedlaczeks Counterpart Bastian Schweinsteiger dagegen, teuer eingekauft für seine angebliche Expertise in Fragen der Nationalmannschaft, tat das Beste, was er in dieser Situation tun konnte: Er schwieg. Fast fünf Minuten lang. Am Ende klopfte Bierhoff Schweinsteiger in alter Jovialität auf die Schulter und fragte etwas gönnerhaft: „Basti wollte gar nichts fragen?“ Immerhin hatte der zuvor schon Bundestrainer Hansi Flick erfolgreich auf die Palme gebracht mit der völlig zutreffenden Analyse, die deutsche Mannschaft „brenne nicht genug“. Da guckte Flick den alten Buddy Schweinsteiger an wie etwas, das die Katze ins Haus gebracht hat.
Strenger Sportjournalismus ist selten geworden in der öffentlich-rechtlichen Liveberichterstattung. Zwar schmückt man sich mit herb-strengen Reportagen oder (halbherzig) mit Hajo Seppelts Doping-Ermittlungen. Im Umfeld der Spiele freilich gibt es höchstens mal feuilletonistisch angehauchte Teaserfilmchen, in denen TV-Kolumnisten wie Bernd Schmelzer zu dräuender Musik und vorsätzlich verwackelten Torschussbildern vermeintlich Tiefschürfendes raunen. In der Livestrecke selbst dann aber überwiegt doch zumeist der Drang, keine miese Laune verbreiten zu wollen.
Kaum jemand ist so empfindlich wie Fußballer
Freundliches Geduze überall. Man kennt und schätzt sich. Alle in einem Boot. Niemand, der dem schönen Fußball Schaden zufügen möchte. Die Folge des jahrelangen Schonwaschgangs zumindest im Fernsehen: Kaum jemand im öffentlichen Leben reagiert so dünnhäutig, so empfindlich auf kritische Nachfragen wie Fußballprofis und Sportfunktionäre. Als gehe mit dem huldvollen Erscheinen vor einer Kamera das Recht einher, sich von den journalistischen Stichwortgebern keinerlei Maßregelungen gefallen lassen zu müssen.
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Eher dünnhäutig: DFB-Präsident Bernd Neuendorf (r.) und DFB-Direktor Oliver Bierhoff während einer Pressekonferenz.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Nur in einem solchen Umfeld kann ein Eistonnen-Interview zur Legende werden. Nur deshalb erinnert sich halb Deutschland noch Jahre später an Rudi Völlers Weißbierexplosion. Und so fällt es plötzlich richtig auf, wenn Sedlaczek auf alte Tugenden des Journalismus zurückgreift und Fehler klar benennt, statt Strenge nur augenzwinkernd zu simulieren. Prompt lobte „Bild“ die „Abrissbirne Sedlaczek“, und in den sozialen Medien feierte man die 37-Jährige als „beste Sportjournalistin im deutschen Fernsehen“ und konstatierte zufrieden: „Esther Sedlaczek nimmt Bierhoff gerade journalistisch auf allerhöchstem Niveau auseinander. Genial.“
„Journalistisch geht ein Traum in Erfüllung“
Für sie gehe mit der Reise zu ihrer ersten Weltmeisterschaft „journalistisch ein Traum in Erfüllung“, hatte Sedlaczek vor dem Turnier in Katar gesagt. Dass freilich „der Ort dafür ein besserer sein könnte – darüber sind wir uns alle einig“. Erst seit Sommer 2021 ist sie im Team der „Sportschau“, als vierte Frau auf diesem Posten nach Anne Will (1999), Monica Lierhaus (2004 bis 2009) und Jessy Wellmer (seit 2017/18), die bei dieser WM nur deshalb in die erste Reihe rückte, weil Alexander Bommes krankheitsbedingt ausfiel. Zuvor moderierte Sedlaczek gut zehn Jahre bei Sky, wo sie sich 2010 in einem Moderatorencasting gegen 2700 andere Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt hatte.
Sedlaczek, geboren 1985 in Ost-Berlin, entstammt einer komplexen Familienstruktur: Sie ist die Tochter des Schauspielers Sven Martinek (bekannt geworden durch die Actionserie „Der Clown“), der mit sechs Frauen insgesamt sieben Kinder hat, und lernte ihren Vater erst mit 16 Jahren kennen. Sie wuchs in Berlin bei ihrer Mutter auf und ging nach dem Abitur ein Jahr nach Sri Lanka, um dort Kindern Englisch beizubringen. Danach studierte sie Modejournalismus und Medienkommunikation, absolvierte Praktika bei „SuperIllu“ und RTL und studierte ab 2009 Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Fernuniversität in Hagen. Nach kleineren Jobs für regionale Sender in Berlin und Brandenburg ergriff sie bei Sky die Chance ihres Lebens. Verheiratet ist sie mit einem Münchener Unternehmer, das Paar hat zwei Kinder. Die Familie lebt in Berlin.
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„Plötzlich hat das, was man sagt, mehr Gewicht": Esther Sedlaczek kurz vor ihrem Wechsel von Sky zur ARD-"Sportschau" im Sommer 2021.
© Quelle: WDR/Annika Fußwinkel
Bei Sky ins kalte Wasser geworfen
Bei Sky sei sie damals wirklich „ins kalte Wasser geworfen worden“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Ich hatte von nichts eine Ahnung.“ Inzwischen helfe aber die Routine. „Ich finde es auch schön, bei neuen Dingen nicht genau zu wissen, was da an Dynamiken entstehen kann.“ Es ist exakt diese Fähigkeit, die im Livefernsehen die Spreu vom Weizen trennt: Wem es gelingt, durch innere Ruhe aus ungeplanten Situationen spontan Honig zu saugen, der ist für den Beruf geboren. Wer dagegen im Angesicht von Unwägbarkeiten anfängt zu schwimmen und sich hart an sein Skript klammert, wird keine Sternstunden liefern.
Frauen haben im Sportjournalismus in den letzten Jahren große Qualität bewiesen und den Beweis erbracht, dass auch eine Männerdomäne wie der Fußball einen hohen Frauenanteil sehr gut vertragen kann. Vielleicht tut ihm das sogar gut.
Esther Sedlaczek, ARD-„Sportschau"-Moderatorin
An das massive öffentliche Interesse an einer „Sportschau“-Moderatorin müsse sie sich noch gewöhnen, sagte Sedlaczek, als sie im August 2021 den neuen ARD-Job antrat: „Plötzlich hat das, was man sagt, mehr Gewicht. Ich sehe mich eher als wissbegierige Moderatorin, der Experten zur Seite stehen – und jetzt ist ab und zu auch meine eigene Expertise gefragt.“
„Viele Frauen tun dem Fußball gut“
Insgesamt aber sei es überfällig, dass Frauen im Sport endlich auf Augenhöhe mit den Männern agierten. Da seien aber nicht nur die Sender in der Pflicht, sondern auch die Vereine, sagt Sedlaczek. „Sie können auf der Führungsebene deutlich mehr Frauen gebrauchen.“ Sie finde, „dass Frauen in diesem Bereich in den letzten Jahren große Qualität bewiesen und den Beweis erbracht haben, dass auch eine Männerdomäne wie der Fußball einen hohen Frauenanteil sehr gut vertragen kann. Vielleicht tut ihm das sogar gut. Am Ende der Fahnenstange sind wir aber längst noch nicht.“