Sind 400.000 neue Wohnungen pro Jahr wirklich realistisch, Frau Geywitz?
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Klara Geywitz, die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.
© Quelle: IMAGO/photothek
Berlin. Frau Geywitz, Sie sind jetzt seit einem Jahr im Amt. Gab es jemals eine schwierigere Zeit, um ein Bauministerium aufzubauen?
Glücklicherweise passieren Ministeriumsgründungen ja nur alle paar Jahrzehnte, deshalb gibt es da wenig Vergleiche. Aber wenn es jemals eine Zeit gab, die für den Bau so schwierig war, dass es ein eigenes Bauministerium braucht, dann sicherlich jetzt.
Sie sind mit dem Versprechen angetreten, 400.000 Wohnungen jährlich zu schaffen. Dann kam der 24. Februar. Baukosten sind explodiert, Zinsen stiegen, Materialien wurden knapp. Welche gute Botschaft haben Sie für Familien, die jetzt Wohnraum benötigen?
Da ist erst einmal die Akuthilfe: das Wohngeld. Da haben wir die größte Reform seit Jahrzehnten gemacht. Wir haben die Mittel für den sozialen Wohnungsbau auf 14,5 Milliarden deutlich erhöht. Hinzu kommen 1,1 Milliarden für einen Härtefallfonds für Wohnungsunternehmen, die akute Probleme haben. Dann ist da noch das Jahressteuergesetz, das vereinfachte Abschreibemöglichkeiten für den Wohnungsbau vorsieht. Und für viele Sparer sicherlich interessant: Man kann jetzt Wohn-Riester für energetische Sanierungen aufnehmen, das spart langfristig Nebenkosten.
Die 400.000 Wohnungen werden dringend gebraucht. Für wie realistisch halten Sie es noch, dass das zu schaffen ist?
Der Bedarf ist groß, und deswegen lasse ich auch von diesem Ziel nicht ab. Gerade jetzt, wo auch noch Menschen zusätzlich gekommen sind. Wichtig ist, dass wir verstehen: Wir haben nicht nur ein kurzfristiges konjunkturelles Problem mit der Zinsentwicklung und den Lieferkettenproblemen.
Inwiefern?
Schauen wir mal ins vergangene Jahr zurück, da hatten wir noch extrem niedrige Zinsen und eine hohe staatliche Förderung. Trotzdem sind nur 300.000 Wohnungen gebaut worden. Das zeigt, dass wir weiter die Produktivität und die Kapazitäten steigern müssen, damit wir überhaupt in der Lage sind, preiswert zu bauen. Deswegen gibt es im Bündnis bezahlbarer Wohnraum die Forderung, zum Beispiel den seriellen Wohnungsbau und die Vorfertigung ganz stark auszubauen. Wir sind in Abstimmung mit den Ländern, damit es nicht eine Serie für Bremen gibt und eine für Hessen, sondern dass deutschlandweit vorproduziert werden kann.
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Trüber Himmel über einer Baustelle in Frankfurt: In der Baubranche kriselt es.
© Quelle: Arne Dedert/dpa/Archivbild
Die Baubranche wartet auf Signale in Sachen Neubauförderung. Wann wird es da konkreter?
Das wird gerade bei der KfW noch technisch umgesetzt, aber die Summe ist klar: 1,1 Milliarden für die Förderung von Neubauten. Die Förderung an sich wird kommen, darauf können sich alle verlassen. Und solange die neuen Programme noch nicht stehen, gilt die alte Förderung weiter.
Braucht es mehr staatliches Geld für den Neubau?
Mit Blick auf das vergangene Jahr sieht man ja, dass eine milliardenschwere Förderung nicht dazu geführt hat, dass wir über die 300.000er-Schwelle gekommen sind. Im Gegenteil: Wenn in eine ausgelastete Bauwirtschaft noch einmal Milliarden reinfließen, ist das eher preissteigernd. Das Problem, das wir haben, ist nicht allein mit Geld zu lösen. Wir brauchen insgesamt eine Digitalisierung und eine Steigerung der Produktivität, um mit der gleichen Anzahl an Fachkräften auf dem Bau auch mehr bauen zu können.
Was lag Ihnen denn in Ihrem ersten Amtsjahr besonders am Herzen?
Neben dem Wohnungsneubau die Tatsache, dass der Bund jetzt die Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 überwinden will. In diesem Jahr hatten wir dazu erste Gespräche mit Akteuren auf kommunaler und Landesebene sowie dem Bundespräsidenten. Im nächsten Jahr starten wir dann mit einem Aktionsplan.
Was kann man sich darunter vorstellen?
Manche Punkte kann man nur auf Bundesebene regeln – beispielsweise den Zugang zu Krankenkassen. Und es gibt Ansätze wie etwa Housing First: Menschen bekommen erst den Wohnraum vermittelt, dann folgt alles Weitere wie zum Beispiel eine Therapie. Das wurde in Finnland entwickelt, und ich schaue mir das im Februar dort an. Finnland hat es geschafft, die Zahl der Obdachlosen zu reduzieren, während sie in vielen anderen europäischen Ländern steigt. Dass wir das Thema Obdachlosigkeit jetzt ins Wohnungsministerium geholt haben, ist ein Zeichen, dass wir den Zugang zu Wohnraum als ganz wesentlichen Schlüssel sehen, um Obdachlosigkeit zu überwinden.