Nächstes Kapitel im Dieselskandal: Deutsche Umwelthilfe attackiert Autohersteller – und Bosch
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LHJUNSYG5GNUPP5AHBJOPWLFJM.jpg)
Die Deutsche Umwelthilfe hat die Autoindustrie massiv attackiert.
© Quelle: Marius Becker/dpa/Archivbild
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) geht die Autohersteller im Dieselskandal noch einmal frontal an. Nach Unterlagen des Lobbyvereins haben die Konzerne schon 2006 bei Zulieferern Technik für die Abgasmanipulation bestellt. Der Dieselskandal gehe nicht auf wenige Ingenieurinnen und Ingenieure zurück, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch, sondern sei „Ergebnis einer Auftragsarbeit eines Betrugskartells“, zu dem er VW und die Konzerntochter Audi sowie BMW und Mercedes (damals Daimler Chrysler) zählt. „Ausgeführt wurden diese Arbeiten von Bosch.“
Dass die Zulieferer mit ihren Motorsteuergeräten und der zugehörigen Software den Abgasbetrug ermöglichten, ist bekannt. „Die aufgebrachten Punkte sind nicht neu und allesamt aufgearbeitet“, sagte ein Bosch-Sprecher dem RND. Der Konzern musste 2019 deshalb bereits 90 Millionen Euro Bußgeld zahlen. Dabei habe die Staatsanwaltschaft festgestellt, dass die Initiative „jeweils von Mitarbeitern anderer Unternehmen ausging“. Bei den Herstellern kassierte die EU-Kommission wegen des Abgaskartells bereits hohe Bußgelder.
Neue Möglichkeiten für Schadensersatzklagen
Resch hält das Thema damit aber keineswegs für erledigt. Die Hersteller könnten sich endgültig nicht mehr auf einen „Verbotsirrtum“ berufen, also auf eine unklare Rechtslage. BMW hat stets rechtswidriges Verhalten bestritten. „Niemand wird sich nun damit herausreden können, dass man nicht wusste, was man tat“, sagte DUH-Anwalt Remo Klinger. Das eröffne neue Möglichkeiten für Schadensersatzklagen. Spezialisierte Anwälte wie Stoll & Sauer werben bereits um potenzielle Klägerinnen und Kläger.
Der Bundesgerichtshof hatte zwar VW wegen sittenwidrigen Handelns zu Schadensersatz verurteilt, bei anderen Herstellern ist das aber nicht so klar. In internen Bosch-Dokumenten, die der DUH nach eigenen Angaben von einem Insider zugespielt wurden, geht es vor allem um einen Arbeitskreis mit Audi, BMW, Mercedes und VW. Unter den angeblichen Anwendern zweifelhafter Bosch-Technik tauchen aber auch Fiat, Toyota, Ford und General Motors auf.
Die Umwelthilfe erhofft sich von dem Material auch Munition für ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Schleswig, das im Februar beginnen soll. Dort greift der Verein die Softwareupdates für 119 Automodelle an, mit denen die Betrugssoftware nach dem Auffliegen des Skandals beseitigt werden sollte. Nach Überzeugung der Expertinnen und Experten entsprechen die Fahrzeuge immer noch nicht den Vorschriften. Sie müssten entweder erneut nachgebessert oder von den Herstellern zurückgenommen werden, sagte Resch. Nach seiner Schätzung geht es in Deutschland um rund fünf Millionen Autos.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/WG4NR2HXHBLDXRX5AUJFMZQ6GA.jpg)
Mehr Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen: Bürgermeister machen Druck auf Wissing
Bisher dürfen Kommunen auf Hauptverkehrsstraßen nur in Ausnahmefällen Tempo 30 einrichten. Einige Bürgermeister, darunter auch Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, wollen das ändern. Das Bündnis wendet sich mit einem Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing.
Das Problem: sogenannte Thermofenster
Den Weg für die Klage in Schleswig hatte in der vergangenen Woche der Europäische Gerichtshof freigemacht. Das Gericht betonte auch noch einmal, dass nur unter eng definierten Bedingungen sogenannte Thermofenster genutzt werden dürfen. Darunter versteht man eine Abgasreinigung, die nur in einem bestimmten Temperaturbereich vorschriftsmäßig funktioniert. Sie war zulässig, um Motorschäden zu vermeiden, wurde teilweise aber weit darüber hinaus ausgedehnt.
Um diese Thermofenster ging es bereits 2006 laut den von der DUH präsentierten Unterlagen. In einer Runde der vier großen Hersteller sei besprochen worden, wie man den für die Abgasreinigung nötigen Harnstoff – Adblue genannt – reduzieren könnte. So sollten der Adblue-Tank kleingehalten und die Nachfüllintervalle verlängert werden.
Den Unterlagen zufolge hat Bosch aber schon in dieser frühen Phase auf Rechtsrisiken hingewiesen. In einer Präsentation aus 2009 heißt es unter anderem, das System könne so ausgelegt werden, dass es auf dem Prüfstand den Anforderungen entspreche und „in allen normalen Fahrbetriebszuständen“ deutlich weniger Harnstoff eingespritzt werde. Danach kommt die „Schlussfolgerung: Es besteht die Möglichkeit, dass diese Applikation Auswirkungen auf die Einhaltung behördlicher Vorschriften (...) haben kann.“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
„Rechtfertigung der Funktion selbst liegt beim Kunden“
An anderer Stelle wird festgehalten, dass unterschiedliches Abgasverhalten auf Prüfstand und Straße „durch die Applikation ausgeschlossen werden müsse“. Die Verantwortung dafür „sowie Rechtfertigung der Funktion selbst liegt beim Kunden“. Bosch wollte mit der Anwendung seiner Technik also offenbar nichts zu tun haben.
Das verhinderte aber nicht ihren massenhaften Einsatz. Als Bosch nach Bekanntwerden des Dieselskandals im September 2015 die „sensiblen Funktionen“ aus eigener Entwicklung auflistete, kamen laut einer weiteren internen Folie 44 Funktionen heraus, die zumindest geeignet gewesen wären, Abgaswerte zu manipulieren. Wo Eingriffe erlaubt sind, um Bauteile zu schützen, steht in der Liste mehrmals: „Reduzierung über Bauteilschutzgründe hinaus.“ Resch sieht darin eine „rechtliche Bombe“, weil es den bewussten Betrug nicht nur bei VW beweise.
Der Abgasskandal wurde im Herbst 2015 bekannt, als US-Behörden dem VW-Konzern massive Rechtsbrüche vorwarfen. Bei VW und Audi hat der Betrug in den Jahren 2006/2007 begonnen, als man eine billige Lösung für die scharfen Abgasvorschriften vor allem in Kalifornien suchte.