Inflation Reduction Act

Drohender Handelskrieg zwischen Europa und den USA: unter Brüdern

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Aufschwung, Bruno Le Maire, während ihres Besuchs in Washington.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Aufschwung, Bruno Le Maire, während ihres Besuchs in Washington.

Berlin/Washington/Brüssel. Und plötzlich klingt der nette Onkel Joe gar nicht mehr so nett. Es ist Donnerstag vorvergangener Woche, und der US-Präsident hat die amerikanische Hauptstadt verlassen. Er hat den Potomac überquert, der Washington nach Westen begrenzt, und sich die paar Meilen nach Springfield, Virginia, fahren lassen. Dort steht er nun vor Mitgliedern der lokalen Heizungsinstallateurgewerkschaft Steamfitters Local 602 und redet über seine Wirtschaftspolitik.

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Subventionspaket: Wirtschaftsminister Habeck erwartet Zugeständnisse der USA

Mit grundlegenden Änderungen rechnet der Bundeswirtschaftsminister aber nicht. „Dieser Inflation Reduction Act wird nicht noch einmal geöffnet“, sagte Habeck.

„Jahrzehntelang ist das Rückgrat Amerikas, die Mittelschicht ausgehöhlt worden“, kritisiert Biden. Zu viele gut bezahlte Jobs seien ins Ausland verlagert worden. „Diese Dynamik werden wir ändern“, kündigt er an. Und dann sagt er einen Satz, der selbst Tausende Kilometer weiter östlich auf der anderen Seite des Atlantiks Gehör findet. „Ich werde international dafür kritisiert, dass ich mich zu sehr auf Amerika konzentriere“, ruft Biden. „Zum Teufel damit!“

Es sind Töne, die die Europäer eigentlich überwunden glaubten, seit die Präsidentschaft von Donald Trump vor zwei Jahren endete. Die Erleichterung auf dem alten Kontinent war riesig, als der Wüterich das Weiße Haus verlassen musste. Zumal Nachfolger Biden bemüht war, die tiefen Gräben zuzuschütten, die Trump zwischen den Vereinigten Staaten und Europa aufgerissen hatte.

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Biden in Wirtschaftsfragen mindestens ebenso hart wie Trump

Doch so freundschaftlich der Demokrat gegenüber den Verbündeten auch auftritt – wenn es um die Wirtschaftspolitik geht, fährt er einen mindestens ebenso knallharten Kurs. Unter Trump sei „Buy American“ (kauf amerikanisch) nur ein leeres Versprechen gewesen, hatte Biden bereits wenige Monate nach seiner Amtsübernahme gehöhnt und versprochen: „Meine Regierung wird ‚Buy American‘ wahr werden lassen.“

Im August 2022 folgten den Worten Taten. Da verabschiedete der Kongress ein umfangreiches Klima- und Sozialpaket, das aus Gründen des politischen Marketings den etwas verwirrenden Titel „Inflationsreduzierungsgesetz“ (IRA) trägt. Gigantische 369 Milliarden Dollar werden die USA im Laufe der nächsten zehn Jahre in Klimaschutz, Energiesicherheit und neue Umwelttechnologien investieren. Das Paket sieht sowohl Direktzahlungen als auch Steuervergünstigungen vor. So sollen die Amerikanerinnen und Amerikaner unter anderem einen satten Zuschuss von 7500 Dollar beim Kauf eines Elektroautos bekommen.

Der Haken aus europäischer Sicht: Das Geld fließt nur, wenn der Wagen in den USA oder seinen Freihandelspartnerländern Kanada und Mexiko produziert wurde. Auch die staatliche Förderung der Batteriefertigung oder anderer Erneuerbare-Energie-Projekte ist an einen immer größeren amerikanischen Fertigungsanteil gebunden.

Unter Arbeitern und Gewerkschaftern in den USA kommt diese Politik gut an. In den europäischen Partnerländern hingegen schrillen die Alarmglocken. Europäische Unternehmen fürchten nicht nur, bei der Subventionsorgie leer auszugehen und Marktanteile an die US-Konkurrenz zu verlieren. Sie sorgen sich auch um ihre europäischen Standorte. Denn wer kann, hat nun neben den viel geringeren Energiekosten einen weiteren wichtigen Anreiz, Teile seiner Produktion in die USA zu verlegen.

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Marktanteile und Milliarden sind ein wichtiger Teil des Streits zwischen den atlantischen Brüdern, doch es geht um weit mehr. Klimaschonende Produktionsverfahren gelten neben künstlicher Intelligenz als Schlüsseltechnologien für die nächsten Jahrzehnte. Wer sich in Bereichen wie Wasserstoff, Batterietechnik oder grüner Energie die Technologieführerschaft sichert, schafft die Grundlage für den Wohlstand künftiger Generationen.

Und natürlich geht es auch um die Frage, was all die Treueschwüre der Verbündeten im Ukraine-Krieg und im Systemwettbewerb mit China am Ende eigentlich wert sind, wenn es zum Schwur kommt.

Habecks Verärgerung ist spürbar

Aus Sicht des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) sind die Pläne der Amerikaner ein Verstoß gegen die internationale Handelsordnung. Bei einem Besuch in Schweden vor einigen Tagen hat Habeck sogar von einem „Handelskrieg“ gesprochen, den es zu verhindern gelte. Zwar schlug der Vizekanzler zu Wochenbeginn bei seinem Besuch in den USA leisere Töne an, die Verärgerung aber ist spürbar.

Auch in Brüssel ist die Aufregung groß. Zumal Joe Biden die Europäer mit der Kombination aus grüner und protektionistischer Politik in eine Zwickmühle gebracht hat. Nachdem die Europäer jahrelang von den USA mehr Anstrengungen beim Klimaschutz gefordert hatten, können sie nun nur schwerlich etwas gegen die Pläne sagen, den Ausstoß von klimaschädlichem Gas auf der anderen Seite des Atlantiks zu verringern.

So kommt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als sie am vergangenen Mittwoch die europäische Reaktion auf das Inflationsbekämpfungsgesetz vorstellt, um ein einleitendes Lob nicht herum. Dass die Amerikaner jetzt auch das Klima schützen wollten, das sei „good news“, sagt sie. Aber, schiebt von der Leyen umgehend nach: „Wir brauchen auch ein level playing field.“

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Dieser Ausdruck, am besten vielleicht übersetzt mit „gleiche Wettbewerbsbedingungen“, hat seit Jahren Hochkonjunktur in Brüssel. Ob Brexit, ob China, ob jetzt die USA – immer pochen die Europäerinnen und Europäer auf gleiche Wettbewerbsbedingungen. Und werden doch immer wieder enttäuscht.

Zwar haben von der Leyens Kommissare in den USA inzwischen ein paar Ausnahmen ausgehandelt, allerdings geht es dabei eher um das Kleingedruckte. So sollen Leasingfahrzeuge künftig auch förderfähig sein, wenn sie das „Buy American“-Kriterium nicht erfüllen. Das würde der deutschen Autoindustrie helfen. Eine europäisch-amerikanische Taskforce sucht außerdem nach weiteren Möglichkeiten, um den Europäern in konkreten Ausführungsbestimmungen entgegenzukommen.

Grundsätzlich aber steht Biden innenpolitisch unter Druck, die Subventionsanforderungen nicht weiter aufzuweichen. Eine nachträgliche Änderung des gesamten Gesetzes gilt als ausgeschlossen.

Biden entscheidet, die EU streitet

Monatelang hat von der Leyens Behörde deshalb an einer europäischen Antwort auf den Inflation Reduction Act gearbeitet. Ähnlich wie die US-Regierung will nun auch die EU-Kommission zukunftsträchtigen Unternehmen massiv mit Subventionen helfen. Unumstritten sind die Pläne der Kommission allerdings nicht – im Gegenteil.

Statt „Europe first“ solle das Programm besser „Europe fast“ heißen, sagt der Vorsitzende des mächtigen Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange, im RND-Interview. Die Genehmigungsverfahren für grüne Technologien müssten beschleunigt werden. Es sei doch geradezu absurd, wenn ein Unternehmen, das grünen Wasserstoff für seine Produktion verwenden wolle, ein Jahr auf die behördliche Genehmigung warten müsse, klagt der SPD-Mann.

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Lange Verfahren, Streit ums Geld – das sind Belege für die alte These, dass die Europäische Union als Staatenbund im Vergleich zu den USA träge ist. Biden entscheidet, die EU streitet.

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Dieser Streit dürfte sich in den nächsten Monaten noch zuspitzen. Denn von der Leyen will den EU-Staaten mehr Freiheiten geben, ihre Industrien zu subventionieren – zeitlich befristet bis 2025. Aber schon das ist den notorisch klammen Italienern nicht geheuer. Sie fürchten, dass wirtschaftsstarke Staaten wie Deutschland und Frankreich ihren Unternehmen mehr Vorteile verschaffen können.

Und auch wegen neuer Schulden werden sich die EU-Staaten fetzen. Zwar liegen laut EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen noch rund 350 Milliarden Euro in verschiedenen Töpfen, die für die Förderung der grünen Industrie verwendet werden können. Doch jeder weiß: Das wird nicht reichen. So werkeln sie in der EU-Kommission an einem sogenannten Souveränitätsfonds. Der ist umstritten, weil dafür möglicherweise Schulden aufgenommen werden müssen. Von der Leyen sagt, sie werde gegen Mitte des Jahres einen Vorschlag dazu machen.

Die Kommissionspräsidentin kennt das Geschäft. Würde sie heute eine Summe nennen, bräche sofort der Streit aus. Fiskalfalken wie die Niederländer, die Dänen, aber auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gegen ärmere EU-Staaten. Deshalb sollen nun erst mal die Staats- und Regierungschefs über das Geld verhandeln, womöglich schon bei dem Gipfeltreffen Ende dieser Woche in Brüssel.

Vorbild USA?

In den USA kann man die ganze europäische Aufregung nur bedingt nachvollziehen. Tatsächlich spielte der alte Kontinent bei der Entwicklung des Subventionsprogramms allenfalls eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger waren für US-Präsident Joe Biden zwei andere Entwicklungen: der Niedergang der amerikanischen Arbeiterschaft, die mit dem Verlust ihrer Jobs zunehmend anfällig für rechtspopulistische Parolen wird sowie die bedenkliche Abhängigkeit der US-Wirtschaft in Schlüsseltechnologien vom geostrategischen Rivalen China.

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Die Reindustrialisierung Amerikas beim gleichzeitigen Umstieg auf möglichst grüne Technologien – das ist das politische Credo des Präsidenten, der gerne seine Herkunft aus der einstigen Stahl- und Kohlestadt Scranton betont. „Die fahren eine krasse Industriepolitik und fordern uns auf, dasselbe zu tun“, fasst eine europäische Politikerin ihre Eindrücke nach Gesprächen in Washington zusammen.

Es gibt Europäer, die darin durchaus einen Chance sehen. Als etwa der Brüsseler Industriekommissar Thierry Breton kurz vor Habeck in Washington gewesen war, erwähnte er die Probleme mit Bidens Klimagesetz nur kurz. Er habe als ehemaliger Manager über viele Jahre den industriellen Niedergang der USA beobachtet, berichtete der Franzose. „Ich verstehe die Gründe der Biden-Regierung sehr gut.“ Nun müsse, so sein Appell, Europa „seine Hausaufgaben machen“.

Vielleicht, so die versteckte Botschaft, sollten sich die Europäer an ihrem atlantischen Bruder auch einfach mal ein Beispiel nehmen.

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