Zum siebten Mal in Folge: Wieso die EZB die Zinsen erneut erhöht
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Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank.
© Quelle: Caisa Rasmussen/TT News Agency/A
Frankfurt am Main. Christine Lagarde tritt vorsichtig auf die Bremse. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) verkündete am Donnerstagnachmittag eine Erhöhung des wichtigsten Leitzinses um einen Viertelpunkt auf jetzt 3,75 Prozent. Das entspricht den Erwartungen der großen Mehrheit der Expertinnen und Experten. Bei den zurückliegenden Zinsschritten nach Sitzungen des EZB-Rats im Dezember, Februar und März war es jeweils ein Plus um einen halben Prozentpunkt gewesen.
„Die Gesamtinflation ist in den letzten Monaten zurückgegangen, aber der zugrunde liegende Preisdruck ist nach wie vor stark. Gleichzeitig wirken sich die vergangenen Zinserhöhungen deutlich auf die Finanzierungs- und monetären Bedingungen im Euro-Raum aus“, teilte die Notenbank mit.
Experten erwarten, dass Leitzins bis zu 4,25 Prozent erreichen könnte
Bereits im Vorfeld der Sitzung des EZB-Rats – das ist das oberste Gremium der Behörde – hatte es aus Kreisen der europäischen Notenbanker Andeutungen gegeben, dass sich die Phase der aggressivsten Straffung der Geldpolitik ihrem Ende nähert. Eine Reihe von Experten erwartet, dass der Höhepunkt bei 4,0 bis 4,25 Prozent erreicht werden könnte und dann erst einmal auf diesem Niveau verharrt, bevor die Zinsen dann ganz allmählich gesenkt werden könnten.
Doch Lagarde stellte am Donnerstag klar, dass in Zukunft auch wieder stärkere Zinserhöhungen folgen könnten. Denn: „Die Inflationsaussichten sind nach wie vor mit erheblichen Aufwärtsrisiken behaftet.“
Die nun geltenden 3,75 Prozent beziehen sich auf den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz. Das ist der Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der EZB Geld leihen können. Er ist für das gesamte Zinsniveau in der Euro-Zone maßgeblich und wird mit Aufschlägen an Unternehmen und Privatleute, die beispielsweise eine Immobilie finanzieren wollen, weitergereicht.
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Der zweite wichtige Leitzins, die Einlagefazilität, wird ebenfalls um 0,25 Punkte auf 3,25 Prozent erhöht. Hierbei geht es um die Zinsen für Geld, das die Kreditinstitute über Nacht bei der EZB parken. Die Einlagefazilität legt die untere Grenze für den Geldmarkt fest. Von diesem Satz ist mit Zeitverzögerung auch abhängig, wie viel Sparerinnen und Sparer für Tagesgeld oder Festgeld von ihrer Bank erhalten. Solche Anlagen, für die es jahrelange kaum etwas gab, könnten also demnächst noch lukrativer werden. Viele Beobachter und Beobachterinnen erwarten, dass der Einlagesatz im Juli seinen vorläufigen Höchstwert mit 3,75 Prozent erreichen wird.
Nach wie vor hohe Inflation in der Euro-Zone
Dass die EZB überhaupt noch die Zinsen trotz vieler konjunktureller Risiken erhöht, hat mit der nach wie vor hohen Inflation in der Euro-Zone zu tun, die nach vorläufigen Berechnungen im April wieder leicht auf 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist.
Die Volkswirte im Frankfurter EZB-Turm haben aber zuletzt verstärkt auf die sogenannte Kerninflation geschaut, die bei 5,6 Prozent lag. Dabei handelt es sich um die Teuerung ohne die schwankungsanfälligen Positionen Energie und Nahrungsmittel. Die Kerninflation gilt als einigermaßen zuverlässiger Indikator für die künftige Preisentwicklung.
Die 5,6 Prozent liegen nahe dem Höchstwert seit Einführung der Gemeinschaftswährung. Aber im April ging es leicht nach unten, was viele Beobachter als ein erstes Signal für ein Nachlassen des Inflationsdrucks bewerten, wodurch es für die Notenbanker einfacher wird, die gemächlichere Zinserhöhung zu rechtfertigen. Gleichwohl ist die Euro-Zone mit ihren 20 Mitgliedsländern noch sehr weit vom EZB-Inflationsziel (um die 2 Prozent) entfernt.
Für Friedrich Heinemann vom Forschungsinstitut ZEW steht denn auch fest: „Die Inflation bleibt unerwartet hartnäckig. Daher kann der heutige Trippelschritt auch nicht das Ende im aktuellen Erhöhungszyklus sein.“
Viele Banken haben Bedingungen für Kreditvergabe verschärft
Für eine sanfte Straffung spricht allerdings, dass einer EZB-Umfrage zufolge viele Geschäftsbanken seit Herbst 2022 die Bedingungen für Kreditvergaben massiv verschärft haben, und zwar so stark wie seit der großen Finanzkrise vor gut zehn Jahren nicht mehr. Eben wegen der höheren Zinsen, was mit einer schwächeren Wirtschaft einhergeht. Beides zusammen erhöht das Risiko von Zahlungsausfällen. Die strikteren Konditionen haben die Nachfrage nach geliehenem Geld schrumpfen lassen. Sowohl bei Unternehmen als auch bei privaten Haushalten. Konkret bemerkbar macht sich das etwa durch die Flaute in der Baubranche. Das alles deutet aber auch darauf hin, dass die Geldpolitik der EZB wirkt: Wirtschaftliche Aktivität wird gehemmt. Das müsste nach der gültigen Lehre dazu führen, dass die Inflation weiter zurückgeht.
Dies soll noch verstärkt werden durch eine neue Regelung bei einem der EZB-Anleihekaufprogramme (APP). Diese waren während der Nullzinsphase eingeführt worden. Von Juli an werden nun auslaufende Anleihen des APP-Programms nicht mehr durch neue Käufe ersetzt. So wird das Angebot an Anleihen auf dem Markt erhöht, deren Kurse sinken und die Renditen steigen, was das Zinsniveau insgesamt stabilisieren oder sogar erhöhen kann.
Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, betont indes: „Die erneute Zinserhöhung der EZB ist der richtige, wenn auch für viele Unternehmen ein schwieriger Schritt. Die Unternehmen hoffen, dass das Tal der Tränen bald durchschritten ist. Denn nur wenn die Inflation stabil auf niedrigem Niveau ist, kann auch die Wirtschaft in der Breite wieder investieren.“
Mit dem doppelten Leitzinsenplus von 0,25 Prozent bewegt sich die EZB im Gleichschritt mit der US-Notenbank Fed, die am Mittwochabend Erhöhungen in gleichem Maß bekannt gegeben hatte. Nur liegt das Zinsniveau in den Vereinigten Staaten mit 5,0 bis 5,25 Prozent deutlich höher als in der Euro-Zone. Die heftigen Aufschläge der vergangenen Monate haben mehrere regionale Banken in den USA in schwere Bedrängnis gebracht. Auch in Europa mehren sich die Stimmen, dass eine zu starke Straffung der Geldpolitik nicht nur Banken zusetzen, sondern die gesamte Wirtschaft abwürgen könnte. Davor warnt unter anderem der Chef der italienischen Notenbank, Ignazio Visco.