Streiks ohne Ende: Wer darf eigentlich seine Arbeit niederlegen?
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In den vergangenen Wochen haben tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bundesweit immer wieder ihre Arbeit niedergelegt. Doch wann ist das rechtens und wer darf an den Streiks teilnehmen?
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
In den vergangenen Wochen haben Tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bundesweit und branchenübergreifend ihre Arbeit niedergelegt. Vor allem die Gewerkschaft Verdi kämpft mit Warnstreiks für bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst, Nahverkehr oder Gesundheitswesen. Bundesweit sind die Auswirkungen im ÖPNV, in Kitas, an den Flughäfen, bei der Post oder der Stadtreinigung spürbar. Doch wie oft darf eigentlich gestreikt werden? Und wer darf seine Arbeit überhaupt niederlegen?
Was ist ein Streik?
Das klassische Kampfmittel der Arbeitnehmerseite ist der Streik. Streik kann als die planmäßige und kollektiv durchgeführte Arbeitsniederlegung verstanden werden. Durch diese Form der gebündelten Aktion der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll die Arbeitgeberseite unter Druck gesetzt werden. Streiks sind daher stets an bestimmte wirtschaftliche, soziale oder die Arbeit betreffende Forderungen geknüpft.
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© Quelle: dpa
In der Praxis üblich ist der sogenannte Warnstreik. Dieser kann als taktisches Druckmittel verstanden werden, um eine grundsätzliche Kampfbereitschaft gegenüber dem Arbeitgeber zu signalisieren. Ein Warnstreik ist daher eine ganz kurzfristige kollektive Niederlegung der Arbeit, die sich nur auf wenige Stunden erstrecken kann. Er soll die Arbeitgeberseite zur Verhandlungsbereitschaft drängen.
Wann ist die Arbeitsniederlegung zulässig?
Grundsätzlich gilt: Ein Streik ist nur dann zulässig, wenn er verhältnismäßig ist, kollektiv geführt und als Ultima Ratio im Arbeitskampf eingesetzt wird. Solange die Laufzeit eines Tarifvertrages nicht überschritten ist, besteht grundsätzlich die Friedenspflicht. In diesem Zeitraum ist es Gewerkschaften grundsätzlich nicht gestattet zu streiken.
Vor Abschluss eines neuen Tarifvertrages steht das Streikrecht grundsätzlich nur einer Gewerkschaft zu. Streiks müssen also von einer kollektiven Arbeitnehmervertretung geführt werden. Sogenannte „wilde Streiks“, die nicht gewerkschaftlich durchgeführt werden, sind rechtswidrig. Die Gewerkschaft muss auch mit einem rechtmäßigen Streikziel in den Arbeitskampf gehen – häufig dem Abschluss eines Tarifvertrages.
Für die Arbeitnehmerseite muss der Streik allerdings stets das letzte Mittel sein, das sich an zahlreiche vorangegangene Verhandlungsmöglichkeiten anschließt. Zeigt sich der Arbeitgeber in mehreren Verhandlungsrunden nicht kompromissbereit, darf gestreikt werden. Die Gewerkschaft entscheidet nach entsprechender Beschlussfassung, wo und wann gestreikt werden soll. Mit dem Aufruf an die Gewerkschaftsmitglieder sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Streik können diese ihre Arbeit niederlegen.
Wer darf streiken?
Grundsätzlich darf jeder zum Streik aufgerufene Arbeitnehmer oder jede Arbeitnehmerin auch daran teilnehmen. Es spielt keine Rolle, ob man Mitglied einer Gewerkschaft ist oder nicht.
Nach Artikel 9 des Grundgesetzes haben alle Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet“, heißt es weiter. Streiken darf dennoch nicht jedermann.
Für Beamtinnen und Beamte gilt ein grundsätzliches Streikverbot. Das ist seither durch eine ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Grundsatz des Berufsbeamtentums anerkannt. Das Verbot wird damit begründet, dass Beamtinnen und Beamte Träger hoheitlicher Verantwortung sind. Beamtinnen und Beamten steht aber weiterhin das Recht zu, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern hingegen dürfen streiken. Der Arbeitgeber darf auch nicht verlangen, dass die Gewerkschaft eine schriftliche Notdienstvereinbarung abschließt. Es ist ausreichend, dass der erforderliche Notdienst tatsächlich sichergestellt wird.
Was ist mit Azubis und Praktikanten?
Auch Azubis dürfen für die sie betreffenden Tarifforderungen streiken. Das hat das Bundesarbeitsgericht bereits bestätigt. Das Streikrecht gilt analog auch für Praktikanten und Praktikantinnen. Darüber hinaus sind diese Gruppen nicht verpflichtet, Streikbrecherarbeiten zu übernehmen. Der Arbeitgeber darf die also nicht zwingen, die Arbeit der Streikenden zu übernehmen. Die Streikbeteiligung gefährdet grundsätzlich nicht den Ausbildungszweck.
Muss der Arbeitgeber über die Teilnahme am Streik benachrichtigt werden?
Nein. Einer förmlichen Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber bedarf es nicht.
Wie oft darf gestreikt werden?
Beliebig oft. „Den Streik hat das Bundesarbeitsgericht als notwendiges und scharfes Kampfmittel der Arbeitnehmervertreter eingeordnet. Deshalb gibt es bei Warnstreiks kaum eine Begrenzung“, erklärte Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing von der Universität Bonn gegenüber dem „Handelsblatt“.
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Solange ein Streik also als verhältnismäßig eingeordnet wird, um Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben, kann beliebig lange und beliebig oft gestreikt werden. „Anders ist dies, wenn ein Tarifvertrag noch nicht ausgelaufen ist“, so Thüsing weiter, „hier gilt dann die sogenannte Friedenspflicht – dann darf nicht gestreikt werden.“
Darf man als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin wegen eines Streiks abgemahnt oder gekündigt werden?
Nein. Das Bundesarbeitsgericht hat festgelegt: „Während der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik sind die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert. Die Arbeitnehmer sind nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet, verlieren aber gleichzeitig den Lohnanspruch.“ Eine Abmahnung oder Kündigung durch den Arbeitgeber aufgrund nicht erbrachter Leistungen ist damit nicht rechtens.
Dürfen Arbeitgeber streikende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „aussperren“?
Ja. Der Arbeitgeber darf als zentrales Kampfmittel seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch „aussperren“. Bei einer Aussperrung wird die Arbeitsleistung bei gleichzeitiger Verweigerung der Vergütungszahlung zurückgewiesen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen in diesem Fall nicht auf Arbeit gehen und bekommen auch keinen Lohn.
Dabei darf der Arbeitgeber auch Nichtgewerkschaftsmitglieder und Nichtstreikende von der Arbeit ausschließen, um Druck auf die Arbeitnehmerseite zu erhöhen. Taktisch können Arbeitgeber zur Aussperrung greifen, um unbeteiligte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die streikende Belegschaft zu spalten. Wie ein Streik muss auch eine Aussperrung grundsätzlich verhältnismäßig sein.
RND/hyd