Nach dem Korkenknallen kommt die Durststrecke
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Sekt ist in Deutschland beliebt – vor allem an Silvester.
© Quelle: Guido Reimann/Pixabay
Frankfurt am Main. Das gehört schon in die Kategorie konkrete Poesie: „Mittleres Gelbgrün, Silberreflexe, sehr feines, zartes und anhaltendes Mousseux (Schäumen). Zart nach gerösteter Haselnuss, Biskuit, weiße Tropenfrucht, aber auch Mandarinen, Maracuja und türkischer Honig, florale Aspekte, ein Hauch von Nougat und kandierter Grapefruit. Am Gaumen saftig, gelbe Tropenfrucht, finessenreiche Säurestruktur, seidiger Körper, zart nach Marillen …“
All das und noch viel mehr kann in einem Schlückchen Schaumwein stecken, wenn man einen entsprechend ausgebildeten Geschmackssinn wie der Rezensent des Fachblatts Falstaff hat. Die Worte sollen einen Schaumwein beschreiben, der mit 100 von 100 möglichen Punkten gerade einen Test unter dem Titel „Das ultimative Prickeln“ gewonnen hat. Es handelt sich um einen Champagner aus dem Hause Laurent Perrier, der für 1500 Euro pro Flasche zu haben ist – aber immerhin ist es ein Magnum-Gefäß (1,5 Liter).
Ein Fünftel des Umsatzes an Silvester
Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass in der Silvesternacht eine große Pulle mit dem edlen Inhalt geköpft wird. Denn der Jahreswechsel ist der Moment des mit Abstand höchsten Schaumweinverbrauchs im Jahr. Viele Hersteller machen rund ein Fünftel des Jahresumsatzes an und um Silvester herum.
Mit dem Knallen der Korken um Mitternacht geht auch für die hiesigen Produzenten ein erfolgreiches Jahr zu Ende. „Wir Sektmacher sind alle ganz zufrieden mit dem Jahr 2022″, sagte Christoph Graf, Chef der Sektmanufaktur Schloss Vaux in Eltville (Rheingau), dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Er gehört auch zum Vorstand des Verbandes traditioneller Sektmacher. Die Mitglieder des Clubs haben sich dem prickelnden Getränk nach französischem Vorbild verschrieben, was handwerkliches Können und viel Sorgfalt erfordert.
Die Gründe für die jüngsten Erfolge: Erstens hätten die Premiumprodukte schon vor Corona wachsende Aufmerksamkeit erhalten. „Wir stehen mehr im Fokus. Die Leute probieren mehr aus“, so Graf. Zweitens habe im ablaufenden Jahr die Gastronomie mit vielen Veranstaltungen dazu beigetragen, dass wieder mehr Sekt getrunken werde.
Und zu Hause wird wohl auch ganz gut gebechert. Eine aktuelle Umfrage der Hochschule Geisenheim und Verbandes Deutscher Sektkellereien hat ergeben, dass „die Gesamtheit aktiver Konsumierender von Sekt mit 74 Prozent deutlich größer ist als diejenige von Stillwein (63 Prozent)“: Es gibt mehr Sekt- als Weintrinker hierzulande. Und zudem süffeln die Deutschen so viel Sekt wie kein anderes Volk auf der Welt, nämlich im Schnitt 3,2 Liter jährlich.
Dabei ist die preisliche Bandbreite der Produkte enorm. Gerade offerierte Aldi vom hiesigen Marktführer Rotkäppchen-Mumm die Flasche für 2,29 Euro. Womit eine neue Preisuntergrenze für Markensekt definiert wurde. Auf der anderen Seite stehen die Produkte beispielsweise von Schloss Vaux oder vom Sekthaus Raumland (Rheinhessen), die immerhin auch schon bis an die Marke von 100 Euro pro 0,75 Liter heranreichen.
Seit einigen Jahren lässt sich eine deutliche Verschiebung der Verbraucherpräferenzen in Richtung Nobelkategorie – auch Winzersekt genannt – erkennen. Graf erläutert: „Lange Zeit war es so: Wenn’s um Kennerschaft ging, hat man sich über Weiß- und Rotwein Gedanken gemacht. Sekt war eher nur ein Beiprodukt. Das hat sich kolossal verändert.“ Vielleicht brauche die Weinwelt immer einen Trend, der durchs Dorf getrieben werde. „Wir liegen gerade im Trend. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Produzenten sich Segmente suchen, wo es Nischen gibt und neue Wege gegangen werden können“, so der Vaux-Chef.
Das deutsche Sektwunder: Schaumwein auf hohem Niveau
Als Pionier unter den Sektmachern gilt Volker Raumland, der Mitte der 1980er-Jahre bei einem Uniprojekt während seines Weinbaustudiums Müller-Thurgau-Wein aus dem elterlichen Keller in Schaumwein umwandelte und damit bei einer Blindverkostung siegte. Er setzte von vornherein auf das Prinzip einer zweiten Gärung in der Flasche, so wie es in der Champagne vorgemacht wird, was seinerzeit hierzulande einigermaßen exzentrisch war. Im aktuellen Weinguide der Zeitschrift Vinum wird Raumland als „mit Abstand Deutschlands bester Sekterzeuger“ bezeichnet. Doch er ist nicht allein: Zu den jüngeren Herausforderern zählt das Team um Betriebsleiter Niko Brandner von Griesel & Compagnie (Bensheim), das viel Aufsehen erregte, als Brandner – zuvor Praktikant bei Raumland – 2013 damit begann, ausgerechnet im kleinsten deutschen Weinbaugebiet (Hessische Bergstraße) große Sekte zu produzieren. Seither heimst Griesel Preise und Auszeichnungen ein.
Vom deutschen Sektwunder ist unter Expertinnen und Experten immer wieder die Rede.
Und sie verweisen dabei auch darauf, dass zunehmend die Bezeichnung „Brut Nature“ oder „Zero Dosage“ bei prämierten Sekten auftaucht. Damit ist gemeint, dass auf das einst übliche finale Süßen des Sekts vor dem Verkorken verzichtet wird. Wobei für Graf nicht die Bezeichnung maßgeblich ist, sondern ein stimmiges Produkt. „Und wenn der Sekt ohne Dosage stimmig ist, dann machen wir ihn so. Es geht letztlich um ein Verständnis für Qualität. Je feingliedriger die Produkte sind, je besser sie ausbalanciert sind, desto mehr können sie auf die Schminke in Form von Süßung durch die Dosage verzichten.“ Solche Geradlinigkeit wird auch gutem Schaumwein aus Frankreich nachgesagt.
Auch Champagner hat einen Langzeitboom erlebt. Stetig ist er teurer geworden.
Trotzdem sind viele besonders angesagte Marken auch im hiesigen Fachhandel nur schwer zu bekommen. Graf vermutet, dass Kalkül dahinter steckt. Der deutsche Markt ist bei den Preisen noch immer einer der aggressivsten: „Die Champagne überlegt deshalb schon lange, wie viel Kontingente sie nach Deutschland bringen will.“ Das sei wahrscheinlich einer der Gründe für die Verknappung von Champagner in Deutschland. Er werde nun dort verkauft, wo höhere Preise erzielt werden können. Aber: „Diese Verknappung hierzulande führt zu einer stärkeren Aufmerksamkeit für Alternativen. Und da kommen wir dann als Sektmacher ins Spiel“, erläutert der Eltviller Sektmacher, der von einem Kielwassereffekt spricht.
Doch zum Jahresende geschah Unerwartetes. An der Londoner Weinhandelsbörse Liv-ex ging im November der Index für die wichtigsten 100 Weine zum ersten Mal seit 18 Monaten nach unten. Und auch für die dort gelisteten erfolgsverwöhnten Champagner gab es spürbare Abschläge. Rezessions- und Inflationsängste machen sich nun offenbar auch bei Luxusgetränken bemerkbar.
Voller Sorgen ins neue Jahr
Und der deutsche Sektmarkt? Oliver Gloden, Chef der Großkellerei Wachenheim, sagte dem „Handelsblatt“ kürzlich, er befürchte im neuen Jahr Absatzrückgänge bis zu 20 Prozent. Der Hintergrund: Die Kosten steigen. Nicht nur für Energie. So haben sich auch Sektpullen deutlich verteuert, weil in der Ukraine zwei große Glaswerke zerstört wurden, die ganz Europa belieferten. Gloden befürchtet, dass wegen des Kostendrucks psychologisch wichtige Preisschwellen überschritten werden müssen, was preissensible Kundinnen und Kunden vom Sektkauf abhalten würde. Zugleich ist aber von Branchenkennern zu hören, dass große Handelsunternehmen mit den Herstellern gerade „knallhart“ verhandeln, damit genau diese Schwellen nicht gerissen werden. Was aber bedeuten würde, dass auch die industriellen Erzeuger kaum noch was verdienen. Wie dieses Pokerspiel ausgeht, ist ungewiss.
Gute Vorsätze für 2023: Befragte wünschen sich weniger Stress und mehr Sparsamkeit
Weniger Stress – dieser Wunsch für das kommende Jahr ist laut einer Umfrage im Auftrag der DAK-Gesundheit so verbreitet wie noch nie.
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Die handwerklichen Sektmacher sind indes weniger stark vom Lebensmitteleinzelhandel abhängig und haben deshalb größere Spielräume. Aber: „Etwas sorgenvoll blicke ich auf das erste halbe Jahr von 2023. Mit den multiplen Krisen und der Verunsicherung in der Bevölkerung wird das Sektgeschäft sicherlich nicht einfacher“, erläutert Graf. Gleichwohl sieht er noch immer Signale, „dass sich der positive Trend fortsetzt und dass sich neue Märkte auftun“. So sei Export zwar noch ein ganz, ganz zartes Pflänzchen. „Aber wir werden auch im Ausland jetzt stärker wahrgenommen. Da liegen Potenziale.“
Vielleicht auch für den 2018er Rosé Brut Reserve von Vaux: „Elegant und zart fruchtige Kirsch- und Himbeernoten in der Nase, am Gaumen schneidig und anregend“, so wird der Sekt schon beinahe lakonisch im Vinum-Weinguide beschrieben.