Trübe Perspektive für Deutschlands Windbranche: Es fehlen Zehntausende Arbeitskräfte
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Der deutschen Windindustrie fehlen Fachkräfte und konkrete Aufträge.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
München. Windkraft ist Kernelement der Energiewende und nach Jahren der Vernachlässigung politisch wiederentdeckt worden. Die heimischen Ausbauziele sind ehrgeizig, findet Thorsten Ludwig und zählt sie auf. „115 Gigawatt Zubau an Land und 30 Gigawatt auf See bis 2030“, sagt der Geschäftsführer der Agentur für Struktur- und Personalentwicklung (AgS) sowie Mitautor einer Studie über die deutsche Windindustrie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Auf See habe Deutschland zwölf Jahre gebraucht, um acht Gigawatt Windenergie zu installieren, verdeutlicht er die Dimension des Vorhabens und schätzt dessen Chancen auf Verwirklichung ein. „Wenn wir die Hälfte erreichen, wäre es sehr viel“, unkt der Studienmacher und nennt auch den Hauptgrund dafür. „Der Windbranche in Deutschland fehlen mehrere Zehntausend Menschen, und das nicht irgendwann, sondern in den nächsten zwei bis drei Jahren.“
In solche Klagen um trübe Perspektiven der deutschen Windindustrie stimmen auch Anlagenbauer wie Siemens Energy, Branchenverbände oder unabhängige Strategieberater ein. Denn rund 40.000 und damit rund ein Viertel aller Stellen hat die deutsche Windbranche seit 2017 verloren.
Auf Herstellerseite werde noch heute teilweise über Kurzarbeit diskutiert, weil Aufträge für neue Windkraftanlagen einfach nicht bei den Firmen ankommen, weiß Daniel Friedrich. Er ist Chef der IG Metall Küste, in deren Bereich viele solcher Unternehmen angesiedelt sind. Er und Ludwig loben zwar die neuen Flächen, die von der Politik für neue Windkraftanlagen jüngst in Aussicht gestellt wurden, und die dafür versprochene beschleunigte Genehmigungsverfahren. Skeptisch beäugen sie aber die derzeit noch geltenden Kriterien zur Auftragsvergabe.
„Der Preis ist das Ausschlaggebende“, stellt Ludwig klar. Das sorge für Kostendruck und dafür, dass Jobs ins Ausland verlagert werden oder Aufträge an ausländische Konkurrenz vergeben werden. Friedrich sieht die europäisch, etwa in Spanien, aber auch immer öfter außereuropäisch in China. Solle Deutschland beim Ausbau der Windindustrie nicht wie bei anderen Energien von Dritten abhängig werden, müssten sich die Vergabekriterien für Windparks ändern.
Nicht mehr nur der Preis soll Auftragsvergabe bestimmen
„Wir müssen die Vergabe koppeln an Wertschöpfung vor Ort oder Arbeitsbedingungen bei der Herstellung“, fordert der Gewerkschafter und hat damit den Inflation Reduction Act in den USA im Auge. Der ködert mit hohen Subventionen, die an ähnliche Auflagen geknüpft sind, die Windindustrie und andere erneuerbare Energien zur Ansiedelung in den USA. Auch den ökologischen Fußabdruck bei Herstellung und Transport müssten Auftragsvergaben künftig berücksichtigen. „Es kann uns nicht egal sein, ob eine Anlage um den halben Planeten transportiert wird“, findet Friedrich speziell mit Blick auf chinesische Hersteller.
Will man aber, dass neue Windkraftanlagen vor allem von deutschen oder zumindest europäischen Firmen gebaut werden, müssten sie das kapazitätsmäßig auch stemmen können. Genau das ist ein zweites Problem, das die Studie anprangert. In der Branche künftig benötigtes Fachpersonal wird auch von anderen Branchen wie der Autoindustrie umworben, die viel stärker tarifgebunden ist und damit besser bezahlt oder angenehmere Arbeitsbedingungen bietet, stellen Friedrich und Ludwig klar.
In der Windbranche arbeiteten weniger als vier von zehn Firmen in Deutschland tarifgebunden, nur 3,6 Prozent von ihnen würden ausbilden, hat die Studie ermittelt. Im übergeordneten Maschinenbau bilden 6 Prozent der Betriebe aus. Die niedrigen Quoten in der Windindustrie seien vor allem auch Ausdruck von Kostendruck und damit dem Niedrigstpreis als bestimmendem Kriterium für Aufträge.
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Diesen Mittwoch versammelt der Grünen-Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Branche zum Windgipfel um sich. Die IG Metall hofft, dass dabei die Weichen vor allem auch hinsichtlich Vergabekriterien neu gestellt werden. Dazu müssten auch Synergiepotenziale mit anderen Industrien wie dem Schiffsbau gehoben werden. Zum Beispiel brauchen Windkraftanlagen auf See viele neue Spezialschiffe, um sie errichten zu können. Auch könne die deutsche Schiffsbranche helfen, schwimmende Windräder serienreif zu entwickeln. Die Zeit dränge. „Aber wir haben es noch selbst in der Hand“, glaubt Friedrich mit Blick auf eine Energiewende, die zumindest beim Wind made in Germany ist.