Studie: Zahlreiche Maßnahmen nötig

Wie der Flugverkehr CO₂-neutral werden kann

Nicht nur der enorme CO₂-Ausstoß macht den Flugverkehr klimaschädlich.

Nicht nur der enorme CO₂-Ausstoß macht den Flugverkehr klimaschädlich.

Eine Flugreise ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Zu teils spottbilligen Preisen fliegen viele Menschen jährlich in andere Kontinente, andere Länder oder auch nur andere Städte im eigenen Land. Klar, eine Reise mit dem Flugzeug ist schnell und bequem, aber der ökologische Fußabdruck ist dafür groß, denn: Der Flugverkehr ist für mehr als 3 Prozent des globalen CO₂-Ausstoßes verantwortlich.

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Doch das ist nicht das Einzige, was die Luftfahrt so klimaschädlich macht. Der Flugverkehr bringt viele komplexe Herausforderungen mit sich, die die Erreichung der Klimaziele erschweren: Bis Mitte des Jahrhunderts soll er CO₂-neutral sein, bis 2100 treibhausgasneutral. Doch wie soll das gelingen?

Forschende der University of California, der Colorado School of Mines in der Stadt Golden und der internationalen Agentur für erneuerbare Energien in Bonn haben für eine aktuelle, im Fachjournal „Nature Sustainability“ erschienene Studie auf das gesamte System des Flugverkehrs geblickt und stellen fest: Es braucht mehr als nur innovative und nachhaltige Technologien, um das Netto-Null-Emissions-Ziel bis 2050 zu erreichen.

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Die Nachfrage muss sinken

In verschiedenen Szenarien schildern die Forschenden diverse Maßnahmen, die dabei helfen sollen, den Flugverkehr zu dekarbonisieren. Die Forschenden gehen für alle Szenarien von einem Wachstum des Flugverkehrs zwischen einem und 4 Prozent aus.

Das größte Einsparpotenzial ermittelten sie bei der Nachfrage nach Flugreisen: Wenn sie ambitioniert gesenkt werden kann, könnten bis zu 61 Prozent des Treibhausgasausstoßes im Vergleich zu einer ungebremsten Entwicklung vermieden werden. Das Problem ist jedoch: Prognosen zufolge soll die Nachfrage nach einem coronabedingtem Rückgang wieder und immer weiter steigen. Davon gehen auch die Autorinnen und Autoren der Studie aus. Sie betonen, dass sich das ohne striktere Regulierung nicht ändern wird. Das heißt, dass aktive Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Nachfrage zu senken.

Maßnahmen, die kurzfristig zu Emissionsreduktionen führen sollen, müssen an der Nachfrage ansetzen“, betont auch Jakob Graichen, Forscher im Bereich Energie und Klimaschutz des Öko-Instituts in Berlin. Er stimme den Forschenden in ihrer Annahme zu, dass der Luftverkehr ohne Regulierung weiter kontinuierlich steigen wird. Als Maßnahmen nennt er unter anderem eine Verknappung von Slots an Flughäfen und ein Verbot von Kurzstreckenflügen. Zudem meint er, dass eine Abkehr von den aktuellen Steuerbefreiungen positive Effekte fürs Klima haben würde. „Ein Ende der Subventionen des Luftverkehrs – insbesondere die Befreiung von der Kerosinsteuer und Mehrwertsteuer auf internationalen Strecken – würde sofort die Emissionen senken“, sagt der Experte.

Stefan Gössling, der an der Lund University und Linnaeus-Universität in Kalmar in Schweden forscht, hält die Besteuerung von Premiumklasse- und Privatflügen zudem für eine geeignete Maßnahme. „Ein Prozent der Menschheit ist für 50 Prozent der Emissionen aus dem Flugverkehr verantwortlich – das sind die Vielflieger. Wenn hier nicht stark besteuert wird – über den Proxy Premiumklassen –, dann wird es unmöglich sein, die Emissionen zu reduzieren“, sagt er. Ein Flug in der Businessklasse verursache demnach dreimal mehr Emissionen als ein Flug in der Economyklasse. Und ein Privatflugzeug emittiere in knapp sechs Stunden so viel wie ein durchschnittlicher Mensch in Europa in einem Jahr.

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Biotreibstoffe und synthetisch hergestellte Kraftstoffe

Die Forschenden kommen in der Studie auch zum Ergebnis, dass energieeffizientere Technologien für Luftfahrzeuge die Emissionen um 27 Prozent reduzieren können. Als Beispiel nennen die Forschenden beispielsweise Wasserstoff- oder batteriebetriebene Luftfahrzeuge. Eine weitere Reduktion der Flugemissionen könne erfolgen, indem bisherige Treibstoffe durch nachhaltigere Lösungen ersetzt werden.

Dazu zählt unter anderem Biotreibstoff. Allerdings benötigt der Flugverkehr laut den Szenarien der Forschenden pro Jahr doppelt so viele Biotreibstoffe wie derzeit weltweit produziert werden. Und einer verstärkten Produktion stehen einige Hindernisse im Wege: „Biotreibstoffe werden auch eine Rolle spielen, aber die Vorkettenemissionen, mögliche Landnutzungskonflikte und Anforderungen an Nachhaltigkeit begrenzen das Potenzial“, sagt Gössling. Und auch die hohen Kosten für Biotreibstoffe erschweren ihren Einsatz in der Luftfahrt, denn derzeit kosten sie etwa fünfmal so viel wie fossiles Kerosin.

Sind synthetische Treibstoffe der Durchbruch?

Die Studienautorinnen und ‑autoren halten auch die Entwicklung von synthetisch hergestellten Kraftstoffen für einen wichtigen Schritt in Richtung der Erreichung der Klimaziele. Sie werden mittels Wasser und CO₂ hergestellt, das mithilfe von erneuerbaren Energien aus der Atmosphäre entnommen und anschließend in flüssigen Treibstoff verwandelt wird. Einige Expertinnen und Experten halten synthetische Treibstoffe sogar für den künftigen Durchbruch in Sachen CO₂-Neutralität.

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Anthony Patt, Professor für Klimaschutz und ‑anpassung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, nennt die Entwicklung synthetischer Treibstoffe „das wichtigste Element für die Dekarbonisierung des Luftverkehrs“. Der Treibstoff sei nahezu identisch mit dem, was Flugzeuge heute verbrennen. Allerdings werde es auch hier nicht einfach sein, so viel von diesen Kraftstoffen zu produzieren, dass der weltweite Bedarf gedeckt werden kann. Dafür brauche man beispielsweise Sonnenkollektoren auf einer Fläche von gut 40.000 Quadratkilometern. Das sei enorm, aber nicht unmöglich.

Nicht-CO₂-Emissionen auch bei sinkender Nachfrage und nachhaltigen Treibstoffen ein Problem

Maßnahmen wie eine Senkung der Nachfrage und eine energieeffizientere Luftfahrt mit nachhaltigen Treibstoffen können den Flugverkehr wesentlich klimafreundlicher gestalten, so die Forschenden der Studie. Um allerdings wirklich die Netto-Null-Emissions-Ziele zu erreichen, reiche das noch nicht aus.

Dazu müsse im großen Stil Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden, um zum Beispiel die Emissionen von Wasserdampf zu kompensieren. Diese sind im Flugverkehr unvermeidlich und machen zusammen mit anderen sekundären Effekten einen noch größeren Anteil an der Klimaschädlichkeit aus als die CO₂-Emissionen: Ganze zwei Drittel des klimawirksamen Effekts des Flugverkehrs gehen auf Gase wie Stickoxide und Wasserdampf zurück.

Die Studienautorinnen und ‑autoren schlussfolgern aus ihrer Forschung, dass bis zu 3,4 Gigatonnen CO₂ wieder aus der Atmosphäre entnommen werden müssen, um diese Effekte zu kompensieren. Das gelingt per Carbon Dioxide Removal (CDR) – ein Verfahren, das über verschiedene Wege erfolgen kann. Kohlendioxid kann beispielsweise mit technischen Mitteln aus der Luft herausgefiltert und in den Boden gepumpt werden. Oder die CO₂-Kompensation erfolgt auf biologischem Weg, indem CO₂-neutrale Biomasse zur Energiegewinnung erzeugt wird. Diese setzt nur so viel Kohlenstoff frei, wie die Pflanzen, aus der sie erzeugt wird, vorher aufgenommen haben.

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Lob und Kritik für die Studie

Insgesamt begrüßen die Experten die Studienergebnisse der Forschenden, wenngleich sie primär vorhandenes Wissen zusammengetragen hätten. „Sie zeigt zwei Dinge sehr deutlich, die oft nicht ausreichend adressiert werden: Zum einen muss die Nachfrage nach Flügen sinken, um realistischerweise Klimaneutralität im Luftverkehr erreichen zu können. Zum anderen sind die sogenannten Nicht-CO₂-Emissionen auch dann noch ein schwerwiegendes Problem, wenn nachhaltige Treibstoffe verwendet werden“, sagt Graichen.

Jedoch weisen die Fachleute auch auf einige Schwächen in der Studie hin. Gössling betont, dass sie sehr hypothetisch sei, zumal es bislang keine funktionierende Wasserstofftechnologie gebe. Und Patt kritisiert, dass die Studie einige Aspekte zu stark vereinfacht – etwa die Auswirkungen von Nicht-CO₂-Emissionen wie Stickoxiden und Wasserdampf. Entgegen der Annahme der Forschenden, dass nachhaltige Flugtreibstoffe die gleichen Nicht-CO₂-Effekte wie fossile Flugzeugtreibstoffe haben, meint Patt: „Hier gibt es große Unsicherheiten, aber die besten Beweise deuten darauf hin, dass nachhaltige Flugtreibstoffe wahrscheinlich wesentlich geringere Nicht-CO₂-Effekte haben als fossiler Flugtreibstoff.“

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